"Lovecut": Zeit ergebnisoffenen Entdeckens
Thomas Taborsky über einen Film, der das Teenie-Leben in Wien thematisiert.
Thomas Taborsky über einen Film, der das Teenie-Leben in Wien thematisiert.
So wenig wie die Jugendlichen in ihrem Kinodebüt legt sich auch der Titel, den Iliana Estañol und Johanna Lietha dafür gewählt haben, fest: „Lovecut“, das kann die Wunden andeuten, die Liebe freiwillig oder unfreiwillig zufügt, erinnert an das Ausschnitthafte, das Natur und Unnatur des Films ist. Auch der Gedanke an Robert Altmans „Short Cuts“ ist nicht von der Hand zu weisen, wenn das Regieduo drei Liebesgeschichten mit Berührungspunkten in einem Wiener Sommer erzählt. Freiheit und Heranwachsen sind gemeinsame Nenner, ebenso das Verhältnis der realen zur virtuellen Identität, die sich durch Dating-Apps wie Tinder überstreifen lässt.
Luka etwa hat ihren Spaß, sich beim ersten Treffen mit Ben als „from Russia“ auszugeben. Gefühle sollen keine dabei sein, fordert sie, ist in manchem nicht offen zu ihm – so wie er, der versucht, den Gedanken abzuschütteln, dass er mit einem Bein im Gefängnis steht. Bei Lukas Freundin Momo wird es derweil ernst mit Alex. Bislang hat sie ihn nur im Videochat, nie aber persönlich getroffen. Auch scheut er sich davor, denn er verschweigt ihr, dass er querschnittgelähmt ist, und weiß nicht, wie sie miteinander körperlich sein können. Das ist bei Jakob und Anna nicht die Frage, vielmehr, wie sie sich das Zusammenziehen leisten können. Probeweise stellen sie eines der Sexvideos, die sie von sich machen, auf eine einschlägige Seite. Bald fließt auch Geld.
Was Anna jedoch in dieser Welt für sich entdeckt, gefällt ihr mehr als Jakob. Für keinen der sechs ist irgendetwas entschieden. Diese Zeit ergebnisoffenen Entdeckens, die Entfaltung genauso wie Schmerz bedeuten kann, versuchen Estañol und Lietha mit ihrem Laienensemble auszudrücken. Das Ergebnis steht zwischen dem eigenen Anspruch, in einen offenen Prozess hineinzuhorchen und authentische Figuren zu entwickeln, und den Bahnen, in die europäische Fördersysteme solche Vorhaben lenken wollen. Das filmische Potenzial hätte „Lovecut“ allemal. Visuell steckt es schon allein in der Art, wie intim die Kamera arbeitet undwie sie die Zwischenorte der Stadt abbildet, die sich deren Jugend aneignet.
Thomas Taborsky ist Filmkritiker.