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Stürmisch und naiv

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Wie bei einer Spieluhr werden die auftretenden Personen hereingefahren, zitieren -aus dem Zusammenhang gerissen -Sätze aus ihren Rollen, erst dann beginnt Schillers „bürgerliches Trauerspiel". Am besten ist der Jung-Regis-seurin Karin Henkel die sozialkritische Dimension des Stücks gelungen: Der Präsident (Wolfgang Gasser) ist ein derber Zyniker der Macht, ein eindimensionaler Über-Leichen-Steiger par excellence; die Lady Milford (Kit-ty Speiser) eine warmherzige Mätresse, deren Gewissen trotz Hofluft noch nicht verkümmert ist und die den Ausstieg tatsächlich noch schaffen könnte. Viel Aufmerksamkeit erhält der fürstliche Kammerdiener (Florentin Groll), der die landesherrliche Verfügungsgewalt über seine dem Tod geweihten Söldnerheere in trockenen Worten geißelt.

Das Böse der Welt als Folie, von der sich die Guten abheben, hat im Sekretär Wurm (Bobert Meyer) die ideale Personifikation, auf seine perfide Intrige zur Entzweiung des Liebespaares muß einer erst einmal kommen. Dieses Liebespaar voll Naivität und Leidensfähigkeit, voll herzzerreißendem Schmerz (Alexandra von Schwerin als Luise) und etwas tumber Realitätsferne (Christoph Gareißen als Ferdinand) läßt vor allem in der Person des Ferdinand manchen Wunsch offen. (Ehrlich, wer wollte diesem handlungsunfähigen Schwärmer seine Tochter anvertrauen?) Von den alten Millers (Bibiana Zeller, Bainer Hauer) bleibt vor allem der Vater als rasender Tochter-Verteidiger im Gedächtnis, die Bürgerlichkeit ist brüchig, er nicht unbestechlich.

Eine Figur eigenen Stils hat die Be-gisseurin aus dem Hofmarschall von Kalb gemacht, eine Karikatur von einem Hofschranzen, eine Gegenwelt zu des Präsidenten schneidendem Machtdenken.

Alle Darsteller haben Handschuhe an, der Präsident, die Lady, Ferdinand, Luise Kinderfäustlinge an einem Band! - sie symbolisieren wohl das Getrenntsein, die Unfähigkeit zu berühren, berührt zu werden. Ein Schiller für heute ist gelungen.

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