Unbändige Liebe zu Büchern

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Florence Green nutzt Literatur und Bildung nicht als Geldanlage, als symbolisches Kapital, mit dem man sich nach 'unten' abgrenzt, sondern hält sie für ein 'lebensnotwendiges Gut'.

Buchhandlungen laden zum Verweilen und Entdecken ein. Sie versorgen nicht nur mit Wissen, sondern ebnen auch den Weg in fantastische Welten, bieten Stoff für grenzenlose Abenteuer. Wen wundert es da, dass so mancher, wie auch die Heldin dieses Films, von dem Geschäft mit Büchern träumt. Das Geschehen spielt Ende der 1950er-Jahre. Florence Green steht ihrem Wunsch allerdings zwiespältig gegenüber. Einerseits will die Witwe damit das Andenken ihres bibliophilen Mannes ehren, den sie bei der gemeinsamen Arbeit in einer Buchhandlung lieben lernte. Andererseits will sie sich emanzipieren, will sich und den Bewohnern des beschaulichen Küstenorts Hardborough beweisen, dass sie als Frau aus eigenem Recht existiert.

Jedoch versucht man ihr kühnes Unternehmen sogleich zu torpedieren. Denn der örtliche Landadel hat ebenfalls ein Auge auf das baufällige Anwesen geworfen, in dem sie ihre Buchhandlung aufbauen will. In Person der Violet Gamart plant er, dort ein Kulturzentrum einzurichten, und setzt sein Netzwerk in Bewegung, um Florences Vorhaben zu durchkreuzen. Aber die findet in dem traditionsbewussten Mr. Brundish ritterlichen Beistand und eine ihr in ihrer Einsamkeit verwandte Seele. Mit seiner Hilfe versucht sie, den Dorfbewohnern anspruchsvolle Lektüre schmackhaft zu machen.

Die preisgekrönte Verfilmung (Goya-Filmpreis 2018: bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch) von Penelope Fitzgeralds "Die Buchhandlung" durch die spanische Regisseurin Isabel Coixet lässt sich wie der Roman von 1978 kritisch auf die Gegenwart übertragen. Mit dem Küstenort und dessen teils boshaften Bewohnern entwarf der Roman einen gesellschaftlichen Mikrokosmos, zeigte Standesdünkel, das Zusammenspiel von Macht und Kapital. Florence ist eine engagierte und idealistische Unternehmerin. Im Gegensatz zu den Bewohnern und den Honoratioren des Dorfes nutzt sie Literatur und Bildung nicht als Geldanlage, als symbolisches Kapital, das man zum Fortkommen braucht oder mit dem man sich nach "unten" abgrenzt, sondern hält sie für ein "lebensnotwendiges Gut".

Inspiration durch berühmte Romane

Doch ihr Geschäft betreibt sie zu naiv. Florence fällt unternehmerische Fehlentscheidungen, weil sie sich mal von ästhetischen, mal von moralischen Urteilen leiten lässt, weil sie zu sehr ihren Angestellten vertraut, zu wenig Geschick und Diplomatie an den Tag legt, nicht die richtigen Allianzen zu schmieden vermag, so dass sie das drohende Ungemach durch ihre Gegner nicht wahrnimmt. Coixets Drehbuch hat die Romanvorlage jedoch in einigen Punkten verändert. Es strafft das unternehmerische Thema und baut die Beziehung zu Mr. Brundish aus, wobei es aber kein glückliches Händchen beweist. Ray Bradburys Roman "Fahrenheit 451", dessen ästhetisches Programm der Film atmet, weist es eine Schlüsselstellung zu. Ihn verschlingt der alte Herr mit Begeisterung -wie es offenbar auch die Filmemacherin tat. Coixet spielt mit ihm und Vladimir Nabokovs Roman "Lolita" auf Entwicklungen in der Gegenwart an: In ihr kommt aufgrund des Konsums seichter Fernsehunterhaltung und fragmentarischer Internet-News nicht nur das Lesen längerer, anspruchsvoller Texte aus der Mode, sondern es besteht auch die Gefahr, dass Kunstwerke wie "Lolita" zensiert und aus dem öffentlichen Raum verbannt werden.

Diese Deutung der Romanvorlage hat offensichtlich auch weitere Veränderungen motiviert. So erzählt die Filmemacherin das Geschehen aus der Rückschau der damals erst zehnjährigen Aushilfe Christine Gipping, die später Florence Greens Erbe angetreten haben wird. Außerdem lässt sie das Voice-Over von Julie Christie sprechen, welche die Hauptrolle in Truffauts Romanverfilmung von "Fahrenheit 451" spielte. Doch damit verfehlt sie den Duktus der Romanvorlage. Die lebt von der auktorialen Erzählstimme, die trocken und mit feiner Ironie den Aufstieg und Fall der Unternehmung beschreibt. Coixet verfällt manchmal in einen allzu pathetischen Ton; die Bilder erstarren in edlen Kompositionen und heben durch die reizvollen Landschaftsaufnahmen auf Stimmung ab, statt das Denken anzuregen.

Der Buchladen der Florence Green (The Bookshop) E/GB/D 2017. Regie: Isabel Coixet. Mit Emily Mortimer, Bill Nighy, Patricia Clarkson. Polyfilm. 110 Min.

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