7118219-1996_23_23.jpg
Digital In Arbeit

„Anschluß" der Liegestühle

Werbung
Werbung
Werbung

Das einzige, das die Deutschen heute noch besetzen können, sind die Liegestühle auf Gran Canaria. Glücklicherweise. Geheime Informationen, die stets geheimer als informativ sind, berichten über neuerliche „Anschluß"-Be-strebungen unserer deutschen Nachbarn. Diesmal allerdings nur touristischer Art. Glücklicherweise. Die Kette ihrer winterlichen Skier und sommerlichen Liegestühle reicht von Kitzbühel über Meran bis nach Gran Canaria - und noch weiter.

Als einziger Träger eines rot-weißroten Sonnenhutes unter unzähligen Schirmkappen aus Dortmund, Berlin und Buxtehude in Gran Canaria genieße ich die entzückten Ausrufe: „Ach, Sie sind aus Wien ...?! ... Wie reizend ...!" Und dann lerne ich eine Tante aus Hietzing, einen Onkel aus Ottakring und die Vorzüge eines kurzen Wienbesuches kennen, die unsere Liegestuhl- und Restauranttisch-Nachbarn aus Stuttgart und Sindelfingen vor kaum 15 Jahren absolvierten. (Nicht die Tanten und Onkeln, sondern den Wienbesuch.)

Eines muß man den deutschen Überall-Urlaubern lassen: Im Gegensatz zu so manchen Caorle-Urlaubern aus Donaustadt und Brigittenau, gibt es kaum einen Familienkrach und auch keine (Nachurlaubs-)Trennung von (Mittags-)Tisch und (Garten-) Bett.

Meine geliebte Frau Helga, die glücklicheMsd nicht nAr mein Leben, sondern auch meine Urlaubsreisen begleitet, ist mit dem obigen Ausflug in die Familiensoziologie („... aber den in die Berge wolltest du nicht mitmachen ...!") nicht sehr glücklich und macht mich auf die einfache Tatsache aufmerksam, daß man nicht jeden Gag „verwissenschaftlichen" kann.

Zurück zu meiner „Anschluß"-Er-fahrung: Entgegen allen Unkenrufen Bonner Wirtschaftsgurus scheint die angebliche Wirtschaftskrise die Reiselust der Bayern, Schwaben und Hanseaten kaum zu bremsen. Zur

größten Freude der österreichischen Mini-Minderheit auf Gran Canaria -in unserem Hotel gab es nur ein heimisches Ehepaar, und noch dazu aus Tirol, daher fiel uns die Unterhaltung mit den sprachverwandteren Hamburgern leichter - treffen wir unter südlicher Sonne auf immer mehr „Ossis".

Um mich vom Thema „Anschluß - light" nicht allzuweit entfernen zu müssen, lege ich einem Rostocker Ehepaar einen analogen Satz in den Mund, den sie sich zwar nicht zu sagen, aber zu denken trauten, da die Stasi-Geschädigten jetzt den BND fürchten: „Wir erleben keine Wiedervereinigung, sondern einen, wenn auch sanften, Anschluß'!"

Im Anschluß an diese „Ossi"-Kla-gen kamen wir, meine geliebte Frau Helga und ich, mit einem Münchner Ehepaar ins Gespräch und vom (politischen) Regen in die Traufe. Diese Bier-Bayern schütteten nicht nur das dritte Krügel in sich, sondern auch ihr Herz aus: „Jetzt brennen wir wie die Luster; wir pumpen ein Riesenver-

mögen in die ,Ossis' und was ist der Dank dafür? Sie besetzen unsere Liegestühle am Pool...!"

Unverzeihlich, daß die vereinigten Brüder und Schwestern aus Rostock und Weimar die gleiche Sonne wie die Münchner und Hamburger genießen. „Brüder zur Sonne, zur Freiheit .. .1" ist doch nur als Lied hübsch.

Am Ende meiner Geschichte und unseres heurigen Gran-Canaria-Ur-laubs blicken wir wehmütig zurück; auf das Meer, auf den vulkan-dunklen Sandstrand, auf Sonne und Büffet und sehen noch, wie die deutschen Urlauber unsere freigewordenen Liegestühle blitzschnell besetzen und die Reihen - wieder einmal - fest schließen.

Trotz EU-Mitgliedschaft gehören wir, rot-weiß-rote Alpenrepublikaner, anscheinend doch nicht dazu. Wir lächeln und freuen uns auf Wien, wo nebst „Anker"-Brot und Hochquellwasser (trotz Steirer-Steuer) auch die Massen italienischer Touristen auf uns warten, die allerdings von einem „Anschluß" nichts hören wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung