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Ausfahrt zwischen Scylla und Charybdis

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.... Andererseits können Anlage und Programme nihilistischer Aktionen sich durch gute Absicht und durch Philanthropie auszeichnen. Oft folgen sie bereits als Gegenschlag auf erste Unordnungen, mit rettender Tendenz, und setzen dennoch, sie verschärfend, die angesponnenen Prozesse fort. Das führt dann dahin, daß auf weite Strecken Recht und Unrecht fast ununter-scheidbar werden, und zwar dem Handelnden mehr als dem Leidenden.

.Gegen das Böse gibt es bewährte Heilmittel. Beunruhigender ist die Verschmelzung, ja selbst die völlige Verwischung des Guten und Bösen, die oft dem schärfsten Auge sich entzieht.“ Ernst Jünger, .über die Linie', 1950

.Die Stunde eines einigermaßen freien Wortes kann nicht mehr lange währen. Wir sind bereits vom Todeszirkel der Rüstung umschlossen und werden in kurzem Planungen unterworfen werden, die das Gewissen in der Öffentlichkeit verstummen lassen.“

.Aber was dem Christen auch zugefügt werden mag: für ihn kann es sich immer nur darum handeln, wie er die Ungläubigen für Christus gewinnen, nicht wie er sie vertilgen soll.“

Reinhold Schneider, Offener Brief an den .Christlichen Sonntag“, 17. Septem-tember 1950

Neu Jahrsbetrachtung eines Geschäftsmannes. Bilanz des Vorjahrs: Aktiven, Passiven, Außenstände, Schulden. Runde Summen, und einige offenstehende Posten. Vorschau auf das kommende Jahr: Erwägungen gesteigerter Risken, Überlegungen der Sicherung, und Versicherung.

Neujahrsbetrachtung eines Politikers. Sorgfältige Prüfung der Machtmittel und Einsätze der eigenen Partei, mehr noch der gegnerischen Fraktionen im abgelaufenen Jahr, der Chancen und Möglichkeiten im kommenden. Überlegung — neue Alliancen? Sind gewisse Probleme allein durchzufechten? Der Rechenstift des Positionstechnikers gleitet über das Papier...

Neujahrsbetrachtung des christlichen Publizisten. Wie war dein Weg im vergangenen Jahr? Wie hast du das Wort verwaltet? Hast du Klärung gespendet oder Verwirrung? Hast du Sicherheit gebracht oder Unsicherheit? Vielleicht sogar alte Ressentiments gefördert, neue erweckt? Hast auch du vielleicht Haß ausgebreitet, statt des Anderen, Rettenden? Und wie steht es um dein Morgen? Zersplitterst du, in entscheidungsschwerer Stunde? Weißt du den Weg zu weisen? Zu sagen — zumindest —, das ist wahr, das ist falsch? Tut dies, tut das. Hast du zu sagen: Bete Freund, nein, greif zu den Waffen. Geh in dich, nein, suche den Bund der Machtherren. Ergib dich den Mördern, nein, reiße die Fahne an dich...?

Die Heiligkeit des Wortes, sein göttlicher Ursprung wird uns heute sichtbar in der Bürde, die es uns auflegt, in unserem täglichen Versagen an ihm und seiner Wahrheit.

Frieden und Krieg kann es spenden, das Wort, recht verwaltet, Leben und Tod. Entscheidung. Wer aber darf, so er ein Christ ist, es wagen, dieses Wort an sich zu reißen? Zu usurpieren die Macht des Verkündigers, des Propheten, des Gerichtsherren?

Wir nicht. Nicht wir Publizisten und Journalisten. Mit diesem Eingeständnis ist gegeben die Erklärung: von unseren Worten kommt nicht das Heil (so viel Unheil wir auch zu verbreiten vermögen), geht nicht aus letzte Weisung. Das Rettende ist nicht in unsere Hände gelegt ...

Sofort aber und dringlich stellt nun der Freund die Frage: Warum sprichst du dann noch? Schweige, wenn du nichts zu sagen weißt.

Worauf wir zu antworten haben: Gerade in der Sphäre zwischen dem „Nichts“ und dem „Alles“, dem Tödlichen und dem Rettenden, ist die Dimension unseres Schaffens, ist der Raum unserer Arbeit) es ist die Sphäre des täglichen Mühens, Suchens, Irrens, Findens und Verlierens. Gerade, wenn wir diese unsere Gefährdung im Auge behalten, ist es für uns möglich, redliche Arbeit zu leisten und auch die Ausfahrt in die Gewässer des Neuen anzutreten: zwischen Scylla und Charybdis, zwischen Selbstbetrug und Täuschung des Freundes.

Wir alle sind auf einem Schiff. Wir Publizisten bestimmen nicht seinen Kurs. Aber wir können aus genauer Beobachtung der Gezeiten und Gestade, der Winde und des Wetters sagen, wohin es fährt. Dieses Wissen ist unsere Schmach und unsere Chance. Schmach, weil wir zu oft nicht tun, was wir sagen; Chance, weil aus dem richtigen Sagen doch noch rechtes Tun wachsen kann.

Ausfahrt also in das heilige Jahr 1951 heißt: sich selbst und dann den Freunden in jeder Stunde klarmachen, daß in einer solchen Zeit, wie sie eben Ernst Jünger beschreibt, für den Christen, für den Menschen, der das Heil und das durch die Abgründe Rettende sucht, von allen Seiten her Versuchungen, Verführungen drohen.

Lassen wir einige von ihnen selbst sprechen.

Wir dürfen nicht schweigen, über die systematische Verfolgung und Unterdrückung der Christenheit und mehr noch, vieler Menschenrechte in den Volksdemokratien. In diesen erhebt sich gigantisch drohend eine Gefahr, über die kein redlicher Mensch sich Illusionen machen kann. Dürfen wir aber deshalb an die Waffen appellieren? Das Wort Reinhold Schneiders sagt klar: „Unter dem Schild der Atombombe ist nicht der Ort der Kirche.“

In Lautsprechern aller Art, in Funk-und Film- und Massenkundgebungen, getragen von literarischen und wissenschaftlichen Weltnamen, von der Sehnsucht zahlloser einfacher Menschen und der Berechnung einiger kluger Köpfe wird in Flutwellen, die sich steigern, eine Friedensbewegung promulgiert, deren Macht und Durchschlagskraft kontinentweite Rüstungen und Riesenarmeen eindrucksvoll dokumentieren. Dürfen wir angesichts dieses Friedensriesen darauf verzichten, ohne Unterlaß den christlichen Ruf des Friedens zu erheben? Gewiß nicht, denn er ist zugleich die Stimme aller Schwachen, Beleidigten, Unterdrückten dieser Erde, die Stimme der Verfolgten und ihres Fürsten, des Lammes.

Unser Land ist heute entwaffnet, mehr noch, entmilitarisiert, wie kaum ein Flecken Erde zwischen Korea und Berlin, Atlantik und Stillem Ozean. Der geschaffene Zustand kommt nahezu einer Preisgabe gleich: den Winden und Wettern sind wir ausgesetzt wie wenige zuvor. Uns steht es nicht an, zu tun, als ob wir mit den Waffen rasselten und sei es nur in gewissen militärpolitischen Betrachtungen und Erwägungen zur Lage.

Was wir christliche Journalisten demgegenüber heute zu leisten haben, ist Nüchternheit, Redlichkeit, Geduld und Gottvertrauen.

Es ist nicht die Zeit der großen Worte.

Wir wollen deshalb unser Wort hüten. Je lauter das Geschrei und Kriegsgeschrei anschwellen mag, je lärmender die Trommeln der Propaganda geschlagen werden, um so ruhiger, gefaßter wollen wir werden. Die Stimme, „Wächter, wie weit ist die Nacht?“, wird uns nicht erschrecken, sondern wird wirklich Führung und Geleit uns werden, weü sie nicht mehr ist Echo der bangen Geräusche unserer Sinne, sondern Blick von oben: Licht ewiger Sterne. Es stand über der Öde des Unerschaffenen und es wandelte das unbegrenzte Chaos in die Ordnung des Schöpfungsplanes.

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