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Bärenjagd

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Da das Wort Vietnam erst auf der letzten Seite des „Finaler Intro Biep und Ende Ende“ benannten Schlußkapitels vorkommt, konnte es sich der Verlag ohne weiteres leisten, den Originaltitel „Why are we in Vietnam?“ abzuändern (siehe unten), tatsächlich ist ja meist von einer Bärenjagd die Rede, wenn auch anscheinend in einem gewissen Sinn nur scheinbar, und das in einer unerhörten Sprache.

Man muß allerdings hart im Nehmen sein oder sehr abgestumpft von der billigen Gebrauchspornographie, um dieses Buch bis zu jenem — je nach der Vifheit des Lesers mehr vorne oder mehr hinten plazierten — Punkt durchzustehen, an dem die anständigen, konstruktiven, gesellschaftskritischen und so weiter Absichten Norman Mailers erkennbar werden, was bedeutet, daß man weiterlesen und die dargebotenen Schweinereien nach Maßgabe der eigenen Kapazität sogar goutieren darf. Wer nicht vorzeitig aufgibt, stößt später sogar auf ganze Seiten ohne four-letter-words. Spätestens an dieser Stelle der Besprechung müßte eigentlich zur Entlastung des Rezensenten darauf hingewiesen werden, wie wenig die In diesem Text allgegenwärtigen, freilich stellenweise orgiastisch kumulierenden Krassitäten (wie fein war doch Graß) mit dem hohen Anliegen des Autors zu tun haben, wie aufgesetzt und modisch sie wirken, und daß sie eigentlich unnötig sind. Aber leider. Sie gehören total dazu. Ohne die hier in skandalösesten Kombinationen vorkommenden four-letter-words hätte Norman Mailer dieses Buch nicht schreiben können. Und wenn er es nicht geschrieben hätte, wären wir ärmer.

Zwischen Zeile Eins („Hee hoo und jawoll und links zwo drei vier...“) und letzte Seite, letzte Zeile („Wir beenden unsere Sendung. Vietnam — o verdammt.“) geschehen einige außerordentliche Dinge. Primo hat, was allenfalls einmal im Dezennium passiert, wieder einmal ein Dichter sein ganz persönliches Was mit einem ganz neuen Wie zur Deckung gebracht, will sagen, zu einem fest umrlssenen Zweck eine durch und durch artafizielle, kunstvoll künstliche Sprache entwickelt, die bis dato weder denk- noch schreibbar war. Sekundo bezieht sie einen guten Teil ihrer Kraft aus ihrer umgangssprachlichen Herkunft. Mit Norman Mailers Roman wird eine unmögliche, literarisch nicht gesellschaftsfähige, verachtete „Untersprache“ von der Literatur okkupiert, was nicht erst seit Gränmelshausen — ungereinigte Fassung! — immer einen enormen Neuigkeitsappeal und Reizzuwachs bedeutet. Hier ist es der von Hunderttausenden gesprochene Slang des amerikanischen Untergrunds mit seinen Fäkalwör-tern und seiner Poesie. Tertio zieht dieses Buch eine Gesellschaftsschicht aus, daß es nackter nicht geht, und was dabei sichtbar wird, ist nicht Norman Mailer anzulasten. Die high society von Dallas wird dieses Buch ächten und verbrennen, vorher freilich kaufen und lesen. Es besteht begründeter Verdacht, daß die, die es dabei am lautesten treiben, ärger denken als Norman Mailer schreibt. Dabei kommen sie gar nicht so schlecht weg, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Sie sind bloß mittlere Armleuchter in einem scheißköpflgen Amerika. Das Wort ist hier gestattet, denn es ist von Norman Mailer, der es ebenfalls nicht selbst erfunden hat.

...AM BEISPIEL EINER BÄRENJAGD. Roman von Norman Mailer. Verlag Droemer Knaur, München. 296 Seiten. DM 20.—.

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