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Mauern vor Marilyn

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Einer sucht die Identität einer Frau, die selbst ihr kurzes Leben lang verzweifelt zu ihrem Ich finden wollte. Er hat sie nie kennengelernt, nie ein Wort mit ihr gewechselt — und auch nachträglich hilft sie ihm nicht bei der Suche. Denn alles, was sie sagte, scheint auf im Zwielicht von Wahrheit und Werbewirksamkeit, von Privatmeinung und Publicity-Steuerung. Diese Mauern vor Marilyn Monroe bleiben, und gerade mit Norman Mailers Roman-Biographie scheinen sie noch unüberwindlicher geworden zu sein. Die aufregendste Blondine der fünfziger Jahre verharrt so fern, wie sie auf der Leinwand verheißungsvoll nah war: „Nimm mich. Ich bin ganz ohne Arg. Ich bin glücklich. Ich bin ein Engel des Sex — da kannst du Gift drauf nehmen.“

Aus der Mauer vor Marilyn Monroe kratzt Norman Mailer nicht einmal einen Stein heraus, er dringt nicht einmal bis dahin. Denn er selbst verdunkelt sich den Weg, mit dem Gespinst seiner Neigung zum Okkulten, dem Aufrechnen von Zufälligkeiten, das ihn im psychischen Dickicht gefangenhält. Verunglückte damals nicht eine Reporterin im Konvoi des Flitterwochenpaares Monroe/Miller, Blut auf der Straße just an dem Tage, da Marilyn ihre Periode hatte? Welche Vision des Blutes! Und schaute sie sich, die vielleicht doch etwas mit John F. und Bob Kennedy hatte, etwas, das mehr war als nur ein gehauchtes „Happy Birthday“ zu John F.'s Geburtstag, nicht den ersten der tausend Tage des Präsidenten in Dallas per TV an? Ausgerechnet in Dallas! Der amerikanische Traum des Norman Mailer geht weiter: „Und dann fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie, eingesponnen in das endlose Gewebe des Okkulten, dem Lenkrad auf der Brücke von Chappaquiddick diesen verhexten Dreh gibt.“

Nein, Norman Mailer ist natürlich kein Biograph der Marilyn Monroe; das, was er an Tatsachen in sein sich von einem Essay zur Psycho-Historie auswachsendes Buch einbringt, stammt von Fred Lawrence Guiles und dessen Biographie „Nor-ma Jean: The Life of Marilyn Monroe“. Aber er liebt sie, diese Marilyn, so daß seine Worte ihre Haut streicheln und der von ihm vergebens ironisierte „sinfonische Schwulst der Rückschau“ zum rührenden Kitsch des Liebenden gerät: „Lippen, die sich auf seine eigenen herabsenken wie Samt, um sich dann zurückzuziehen in einem Schleier aus Dunst und Tränen, die so zärtlich sind wie ein warmer, schwüler Regennebel.“

Doch auch er, Norman Mailer, ihr Hymniker und Psalmist, reduziert sie: Auch für ihn ist sie' zunächst nur die Frau, „die es mit der größten Wahrscheinlichkeit fertigbringt, Alaska aufzutauen.“

Allerdings: Wenn es um die amerikanische Szenerie geht, wenn nicht mehr Marilyn im Mittelpunkt steht, sondern die, die sie vermarktet und versklavt haben, dann finden wir wieder die zynischen Pfeile des Norman Mailer.

Einmal hat er die Distanz, sie als „Hauptgestalt im großen amerikanischen Rührstück“ zu bezeichnen. Andere haben für sie die Rolle geschrieben, aus der sie schließlich mit Schlaftabletten und einem mysteriösen Selbstmord ausbrach. Sie war der amerikanische Traum, ein uneheliches Kind, das im Waisenhaus und bei Pflegeeltern aufwächst, mit knapp sechzehn den lieben Jungen von nebenan heiratet, bei der Eheschließung noch Jungfrau ist und beim Kochen versagt.

Ihr erster Ausbruch aus der sterilen Nettigkeit führt sie in ein Gefängnis, das sie zeitlebens nicht mehr verlassen kann: „Photomodell (mit jenem berühmten Kalender-Akt, der sie, wie man so sagt, auf schwellendem Samt zeigt), Pin-up-Girl, Gover-Girl, Starlet und schließlich die Sexbombe der 20th Century Fox, die ihr hundsmiserable Verträge unterschob, sie in drittklassi-gen Filmen verheizte und nie in der Lage war, das komödiantische Talent einer verwundbaren, empfindlichen Schauspielerin zu entdecken. Daß es dennoch Filme wie „Bus Stop“, „Some like it hat“ oder „The Misfits“ gegeben hat, war die Rache der Monroe an ihren profitgierigen Managern. Das ist übrigens der Punkt, wo Norman Maller sie wirklich „erkennt“: in ihrer schauspielerischen Qualität; hier schafft er es, den Blick von ihren auch so vollkommenen Proportionen auf das Gesicht zu lenken.

Das amerikanische Rührstück kennt mehrere Akte: die Königin des Sex heiratet Joe di Maggio, den König des Baseballs, den einzigen Mann offenbar, der sie jemals bewußt vom Rollenspiel wegziehen wollte — aber die Maschinerie des filmischen Sklavenmarktes läßt Marilyn nicht mehr los. Nach di Maggio kommt Arthur Miller, und mit ihm die Krönung aller amerikanischen Visionen: „Das große amerikanische Hirn heiratet den großen amerikanischen Körper.“ Das Ende sind Tabletten, die sie wie Erdnüsse knabbert, und ein einsamer Tod, sofern man nicht den waghalsigen Geheimdienst-Thesen des Norman Mailer nachrennen will (war sie nicht vielleicht doch ein Sicherheitsrisiko für die Staaten, da sie ja womöglich mit John F. und Bob ...).

So wie Norman Mailer seiner Marilyn auch nur im Film nahegekommen ist, so scheinen in dieser Roman-Biographie die Photos eher Schlüssel zu einer erotisierenden Frau zu sein, die nicht besessen zu haben Mailer bis heute nicht verwunden hat: da ist sie, ausgenutzt als Pin-up-Girl, als Dschungelweib, in der Badewanne, in der bonbonfarbenen Playboy-Pose, den Busen unter durchsichtiger Flagge vor sich hertragend — und da gibt es die (vielleicht wirkliche) Marilyn Monroe, schön wie nie in ihrem letzten Lebensjahr, Photos am Strand, zerbrechlich, verwundbar, natürlich, sanft und etwas frierend, ein armes, liebenswertes Geschöpf, dem Norman Mailer wenigstens als Filmschauspielerin Gerechtigkeit widerfahren läßt.

MARILYN MONROE. Von Norman Maileir. Droemersche Verlagsanstalt, Th. Knaur, München-Zürich. 272 Seilten, 111 meist farbige Abbildungen, Preis 58 DM.

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