7013547-1988_18_03.jpg
Digital In Arbeit

Weißer Neger

Werbung
Werbung
Werbung

Als der Bürgermeister von New York, Ed Koch, dieser Tage sagte, jeder Jude, der den Schwarzen Jesse Jackson wähle, sei verrückt, bekam er es mit einem sprachgewaltigen Juden zu tun, der sofort verkündete: „ch bin einer der Verrückten.“

Es handelte sich um den Schriftsteller Norman Mailer. Mailer ist fast besessen von der Idee, er müsse eine Revolution im Bewußtsein der Menschen herbeiführen: „Wahrscheinlich werden wir niemals fähig sein, die seelische Verwüstung zu ermessen, die Konzentrationslager und Atombombe im Unterbewußtsein fast jedes einzelnen Menschen, der in unserer Zeit lebt, angerichtet haben.“ Das schrieb Mailer in dem programmatischen Essay „Der weiße Neger“.

In der international Herald Tribüne“ philosophierte er kürzlich über den Holo-kaust: Wenn es möglich gewesen sei, daß innerhalb weniger Jahre zwei Drittel der in Europa lebenden Juden, und damit die Hälfte der Juden in der Welt, vernichtet werden konnten — dann waren sie die am meisten gefährdete Menschengruppe. Diese Erfahrung der tödlichen Bedrohung habe zu einer Vergiftung der moralischen Substanz geführt.

Als „erste Kinder der Erleuchtung“ hätten die Juden einst besser als jedes andere Volk verstanden, daß die Belange der Welt ihre Belange seien. Seit dem Holokaust aber dominiere die Politik des Eigeninteresses: „st das gut für die Juden?“, das sei für allzuviele zur Maxime der Politik geworden.

Und die seelische Vergiftung durch die Atombombe hat Mailer einmal so zu erläutern versucht: Wenn die Möglichkeit des millionenfachen Todes sozusagen zufällig und ohne Ursache gegeben sei — dann werde die Seele der unerträglichen Angst überantwortet, daß auch das Leben keinen Sinn habe.

Wie ein Berserker hat sich Mailer manchmal in amerikanische Wahlkämpfe gestürzt, und noch immer wirkt der heute 65jährige als politischer Kombattant jugendlich. Er war gegen Nixon und für Kennedy: „Unser Jack war nicht vollkommen, aber er hat Licht in das Leben meiner Generation gebracht.“

Er war für die Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnam-Krieg. Er ist jetzt für Jesse Jackson,1 weil dieser ein „Gespür für menschliches Leiden“ habe und Mailer überzeugt ist, daß Amerika nicht fähig sein wird, seine wichtigsten Probleme zu lösen, ehe nicht ein Schwarzer Präsident geworden ist.

Mailer ist Utopist geblieben und Träumer. Damit kann man nicht Politik machen.

Das Dilemma ist nur, daß es ohne Träume auch nicht geht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung