Die USA als Traum und Trauma

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Am Ende fühlte er sich auf verlorenem Posten. Er traute seinen Amerikanern, die er mit heftigen Angriffen gegen deren Lebensstil lustvoll gegeißelt hatte, nicht mehr viel zu. Die Literatur habe keine Zukunft, meinte er. "Nach uns werden die Bücher vielleicht nur noch von Computern geschrieben. Wir sind auf dem Rückzug." Das klang merkwürdig resignativ für einen alten Mann, der sein ganzes Leben dem politischen Kampf mit den Mitteln des geschriebenen Wortes gewidmet und damit Erfolg gehabt hatte.

Alles begann für Norman Mailer nämlich fulminant mit einem Roman mit Weltrang. Als im Jahr 1948 "Die Nackten und die Toten" erschien, war der Autor mit einem Schlag eine literarische Größe. Er bekam jede Öffentlichkeit, seine Stimme hatte Gewicht, er meldete Einspruch gegen die herrschende Politik an und wurde gehört. Das war nicht selbstverständlich in einem Land, in dem linke Intellektuelle ein kümmerliches Dasein führten. Der Roman griff ein Kapitel aus dem Zweiten Weltkrieg auf, als sich im Pazifik Amerikaner und Japaner blutige Schlachten lieferten. Mailer, der sich freiwillig zur Armee gemeldet hatte, griff auf eigene Erfahrungen zurück. Er konzentrierte sich ganz auf das Drama der verlorenen Seelen der jungen, heillos überforderten, zynisch gewordenen jungen Männer. Der Krieg bedeutet nicht nur Tod und Entsetzen, sondern auch eine Verwüstung der Herzen. Der Roman traf unmittelbar den Nerv der Zeit, von da an durfte sich Mailer mehr herausnehmen als andere Literaten.

Mailer wollte stets schreiben, aber im Reich der schönen Literatur wurde es ihm zu eng. Er wollte unmittelbar in das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen eingreifen, deshalb wandte er sich immer wieder den die Gesellschaft durchleuchtenden Reportagen zu. Er gilt als einer der Hauptvertreter des New Journalism, einer Richtung, die objektive Berichterstattung für faulen Zauber hält und deshalb den Journalisten als unmittelbar Beteiligen ins Spiel bringt. Mailer sind außerordentliche Beiträge zu verdanken. Am 21. Oktober 1967 befand er sich in jener Menge, die einen Protestmarsch gegen den Vietnamkrieg auf das Pentagon unternahm. Die Reportage "Heere aus der Nacht" (1968) verbindet die individuelle Erfahrung mit der Analyse der politischen Verhältnisse. Dafür bekam er den Pulitzerpreis.

Sein Werk ist durchdrungen vom tiefen Zweifel an das Glücksversprechen des amerikanischen Traums. Drastisch rechnete er ab mit Büchern, in denen Gewalt, Sex und Gier die Oberhand gewinnen. Doch "Der Hirschpark" (1955), eine Abrechnung mit dem schönen Schein von Hollywood, unternimmt Kritik mit derart platten Mitteln, dass man stets den Eindruck hat, dass der Verfasser mehr angezogen als abgestoßen ist von der Atmosphäre, die er schildert. Das ist kein abwegiger Gedanke. Mailer lebte exzessiv, wurde auch gewalttätig. Seine zweite von insgesamt sechs Ehefrauen stach er im Rausch mit einem Messer nieder.

In einem seiner letzten Bücher war er ganz der alte Kämpfer, der eine klare Haltung vertritt und den Kampf mit der Politik aufnimmt. "Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug" erschien 2003 und greift den Präsidenten George W. Bush wegen dessen Krieg im Irak ungewöhnlich heftig an. Der alte Mann kehrte zurück zu seiner brennenden Wut und nahm sich das Recht heraus, ungerecht zu sein. Anton Thuswaldner

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