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Beißende Ausdünstungen, sengender Gestank

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Wenn es um den Geruch von Autoabgasen geht, bleibt keine Nase ungerümpft. Zornige Umweltschützer ebenso wie noble Bürger beklagen den Gestank jener gesundheitsschädlichen Gase, die den Auspuffrohren entströmen. Dabei ist der Geruch von verbranntem Benzin und Diesel ein läppischer Hauch im Vergleich zu jenen Miasmen, die in vergangenen Zeiten die Stadtbewohner quälten. Wer in Wien an einem Fiakerstand vorübergeht, bekommt eine ungefähre Ahnung jenes Gestanks, der in vergangenen Zeiten in der Stadt geherrscht haben muß: So verteilten im Jahr 1900 geschätzte 42.000 Rösser ihre Äpfel über das Pflaster von Wien. Obwohl die Straßen mehrmals täglich mit Wasser gereinigt wurden, war es für viele Bewohner der Innenstadt aufgrund der Geruchsbelästigung fast unmöglich, ihre Fenster zu öffnen.

Doch auch das war nur ein sanftes Lüftchen, im Vergleich zu der Wolke unsäglichen Gestanks, die ein weiteres Jahrhundert früher über Wien schwebte: der Aasgeruch der Fleischhauereien und Abdeckereien (Tier-körperverwertungsbetriebe), die beißenden Ausdünstungen von allerlei Geflügel und Kleingetier, das lebend auf Märkten verkauft wurde, der sengende Gestank der Gerbereien und anderer geruchsintensiver Handwerksbetriebe und die ranzigen Duftwolken, die von Käse- und Schmalzhändlern ausgingen. Hinzu kamen der Brodem menschlicher Fäkalien öffentlich zugängliche Toiletten entstanden erst vereinzelt während des 18. Jahrhunderts - und der allgemein als süßlich beschriebene Gestank menschlicher Leichen. „Eckelhafte müchtelende Gestanke", so ein Zeitgenosse, strömten aus den zu wenig tiefen und nach zu kurzer Zeit wieder aufgegrabenen Gräbern des Friedhofs um St. Stephan und den zum Teil mangelhaft verschlossenen Grüften im Stephansdom selbst. Manchmal mußten ob des unerträglichen Gestanks, der durch das gotische Gemäuer waberte, die Gottesdienste abgeblasen werden.

Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts sich durchsetzende Weltanschauung des Bürgertums sollte ä la longue auch dem die Stadt beherrschenden Gestank den Garaus machen. Ernährung, Verdauung, Schlaf, Sexualität und eben auch alles, was mit Gerüchen zu tun hat, wurden in enge Korsette gezwängt: Das reichte von strengen Gesetzen bis zum Netz der Kanäle, mit dessen Hilfe die Abwässer unter den Boden der Stadt verdrängt wurden.

Trotz diverser E- und Immissionen: So gut wie heute hat es in Wien und anderen Städten wahrscheinlich selten gerochen.

Der Gestank von Wien

Über Kanalgase, Totendünste und hb andere üble Geruchskulissen. Von jb Peter Payer. Docker Verlag, m1 Wien 1997 208 Seiten

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