Beten um einen rascheren Tod

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Hanna Kralls neue literarische Reportage "Herzkönig" erzählt von der Kriegs-Odyssee einer Warschauer Jüdin.

Nachdem Izolda R. ihre schwarzen Haare hatte aschblond färben lassen ("nicht wie andere Judenmädel - gelb wie Stroh") und gelernt hatte, ihre Handtasche nicht wie eine Jüdin abzustellen ("Sie stellt sie aufs Sofa. Auf den Hocker. Auf den Stuhl … Steht sie jetzt jüdisch da?"), und als im Warschauer Ghetto die Transporte nach Treblinka begannen, begriff sie, wozu sie da war: Um ihren Mann Szajek zu retten. Szajek mit den schönen Händen, der am Tag ihres Kennenlernens im ersten Kriegsjahr gesagt hatte: Du hast Augen wie die Tochter eines zweifelnden Rabbiners.

Jahre nach dem Krieg - Izolda R. lebte seit Kurzem in Israel - nahm sie Kontakt mit der polnischen Schriftstellerin Hanna Krall auf. Im Lauf der Zeit sind viele Leute zu Krall gekommen und haben ihr die furchtbaren Geschichten ihres Überlebens erzählt. Meist hat Krall gesagt: "Für das Leben reicht diese Geschichte, für die Literatur reicht sie nicht. Tragen Sie sie ins Archiv."

Manchmal aber lässt sie ein Satz oder eine Szene aufhorchen. Bei Izolda R. kam dieser Punkt, als diese Krall erzählte, wie sie - durch Zufall als Polin, nicht als Jüdin verhaftet - in einem Warschauer Gefängnishof um einen rascheren Tod für ihre Schwiegermutter betete: "Sie sieht die Mutter ihres Mannes … Sie bekommt Angst. Die Mutter wird sie erkennen. Die Mutter wird sie verraten … Sie beginnt zu beten. Wie immer - zur Muttergottes auf dem Medaillon von Lilusia Szubert. Sie soll nicht in meine Richtung schauen … Sie soll vorbeigehen … Die Judenzelle geht immer noch durch den Hof, die Mutter ihres Mannes geht in den Tod, sie betet, es möge schneller gehen … Schüsse fallen. Sie zählt bis fünf."

Seit jeher erzählt Hanna Krall in solchen genauen, stark verdichteten Hauptsatzreihen. Ihr Ton ist distanziert und mit den Jahren immer noch karger geworden. Ihre Sprache ist rhythmisch und erhält die hypnotische Wirkung durch Wiederholungen und Parallelkonstruktionen. Hunderte Einzelschicksale hat die polnisch-jüdische Autorin und Journalistin im Lauf der Jahre aus der grauen Masse der Täter und Opfer des Holocaust herausgelöst.

Kralls faktenbesessenes Schreiben ist der Versuch, das Unbegreifliche greifbar zu machen, einen Plan hinter der Willkür des Sterbens und Überlebens zu entdecken. Es gibt keine Zufälle, glaubt Krall. Sie bietet dem Zufall Paroli, gibt ihm eine Form, indem sie Geschichten komponiert.

Izolda R. ist die perfekte Krall-Heldin. Das ist gewiss ein Grund, warum Krall ihr nach einer Reportage im Band "Hypnose" (1997) nun auch ein ganzes Buch - "Herzkönig" - gewidmet hat: Izolda ist dem Tod immer und immer wieder entkommen - durch eine wahnwitzige Kette von Zufällen, Finten und Fluchten. Sie ist eine Expertin des Überlebens, aufrechterhalten von der Entschlossenheit, ihren in Auschwitz und später in Mauthausen internierten Mann zu retten. Sie durchläuft eine Odyssee durch KZs und Gefängnisse, Arbeitslager und Gestapo-Folterkeller.

In den ersten Nachkriegswochen schwemmt es sie schließlich nach Mauthausen, wo sie ihren Mann findet: "Gleich werde ich riesige Freude empfinden, denkt sie. Sicher werde ich sehr glücklich sein. Sie empfindet keine Freude. Sie ist nicht glücklich. Nichts empfindet sie, absolut nichts." Freude stellt sich erst ein, als ihr Mann sie später herrisch anfährt. Es ist eine Szene, wie man sie so nur bei Hanna Krall lesen kann: "Wie sitzt du da! - schreit er. Streck die Beine aus und setz dich anständig hin! Sie streckt die Beine aus. Meine Beine gehören nicht mehr mir, denkt sie überrascht. Der rechtmäßige Besitzer meiner Beine ist zurückgekehrt und kann ihnen befehlen. Sorgfältig streicht sie über den Rock. Sie streckt sich auf dem warmen Moos aus - freudig, unendlich erleichtert."

Herzkönig

Von Hanna Krall

Aus dem Poln. von Renate Schmidgall Verlag Neue Kritik, Frankfurt 2007

173 Seiten, geb., € 20,10

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