Beunruhigendes Vakuum

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Lisa Fritsch erzählt von der Sucht nach Gewinn und Verlust.

Spielsucht - ein Fluchtversuch aus Zeit und Raum. Eine Scheibe mit bezifferten Fächern von 0 bis 36, eine Kugel, die rollt, der ersehnte Gewinn verknüpft mit der Utopie von einem anderen Ich, einem von allem Materiellen erlösten Ich. Irgendwie paradox, dass der Verlust zum gleichen Ziel führt, auch er "immaterialisiert", löscht aus, kann die Grundlagen der bisherigen Existenz vernichten.

Fünf Geschichten erzählt Lisa Fritsch von der "Sucht nach Gewinn und Verlust". Die erste führt nach Las Vegas, in dessen Topografie das Auf und Ab des Glücksrades eingeschrieben zu sein scheint: Gehsteige münden in Förderbänder, welche die Besucher bequem über Steigungen hinweg vor die Portale der Casinos transportieren, auf dem Balkon ihres Hotelzimmers hört die Ich-Erzählerin die Schreie der Fahrgäste in der Hochschaubahn. Sie selbst spielt nicht mit, sondern beobachtet und recherchiert, warum und wofür bleibt seltsam unklar. Das Phänomen des Glücksspiels wird keiner Analyse unterzogen, ebenso wenig werden psychologische Motive eruiert, an Stelle dessen Beschreibung des Ortes, nicht mehr und nicht weniger, nüchtern und distanziert.

Bacon, ein Spieler, steht im Mittelpunkt der zweiten Erzählung, die sich aus 2 mal 36 Miniaturen zusammensetzt, in denen Bacons Aussagen über sich selbst kontrastiert werden durch die eines Croupiers, einer Mitspielerin und anderer über ihn. Ein Stimmengewirr, aus dem ein Motiv immer deutlicher herauszuhören ist: die obsessive Beziehung Bacons zum Croupier, der als blinde Instanz erscheint, gleich einer pervertierten Justitia, bemächtigt, das Schicksal des Spielers zu entscheiden.

Wie passend, dass der Protagonist des folgenden Porträts von Beruf Rechtsanwalt ist. Er spielt nicht nur am Tisch, sondern auch an der Börse. Das Recht auf Glück und Erfolg einzufordern, bleibt dort wie da ein aussichtsloses Unterfangen.

In das Lottofieber des 18. Jahrhunderts, dem auch Lessing verfallen war, führt eine weitere Geschichte. Besonders gelungen ist schließlich die Erzählung "Nachtfahrt" am Ende des Bandes, in dem erneut in formaler Analogie mit den Ziffern der Roulettescheibe je 18 Szenen aus dem Leben der Spieler Lena und Markus wiedergegeben werden. Sie eine Beamtin, gelangweilt von der Arbeit, hinlebend auf die nächtlichen Taxifahrten zu den Casinos, er ein Steuerberater in Untersuchungshaft, der vorläufigen Endstation seiner Sucht.

Lisa Fritsch erzählt emotional enthaltsam. Beinahe wissenschaftlich wirkt der erzählerische Zugang zu den Figuren. Beschrieben wird, was sicht- und hörbar ist. Innenschau wird nur mit größter Zurückhaltung geübt. Es werden keine Erklärungen gegeben, kein Grund für die Sucht artikuliert. Dieses Vakuum im Zentrum des Erzählten beunruhigt nachhaltig. Sucht ist bodenlos und Fritsch ahmt diesen Sog ins Nichts formal nach, ist allerdings manchmal in Gefahr, zu viel zu verschweigen und auszusparen. Obwohl selbst in dieser Rationalisierung der Faszination am Spiel schon wieder etwas anpackend Abgründiges liegt.

Am Spieltisch

Die Sucht nach Gewinn und Verlust

von Lisa Fritsch

Sonderzahl Verlag, Wien2004

138 Seiten, kart., e 16,50

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