Kunst des Erzählens

Alle Freunde des Werkes von Werner Bergengruen wird die wohlfeile Neuausgabe dieses Novellenbandes erfreuen, beweist er doch wieder, welch ein großartiger und vielseitiger Erzähler dieser Autor war. Reichtum der Erfindung, meisterhafte Technik, seelische Vertiefung und ein unaufdringlich dargebotener ethischer Gehalt, das sind die Vorzüge, die den Novellen eigen sind. Sie haben alle, mit einer einzigen Ausnahme, die baltische Heimat des Dichters zum Schauplatz und führen in vergangene Jahrhunderte. Geheimnisvolles Geschehen bestimmt die Handlung der Titelnovelle, in welcher die Seuche, von der die livländische Stadt Wenden heimgesucht wird, in Gestalt einer kleinen Flamme erscheint, die ein Mann in eine hölzerne Säule einzuschließen vermag. In „Der Strom“ greift Magie in das Leben des Helden ein. Eine dramatische Begebenheit aus der /Zeit Wallensteins erzählt die Novelle „Die Zweideutigen“. „Der Mann mit dem Helm“ ist ein geisterhafter Bote, der einen einsamen, alternden Kammerherrn aus seiner Isolierung herausführt und ihn zu tieferer Erkenntnis des Daseins gelangen läßt — eines der schönsten und tiefsten Prosastücke des Bandes. In zwei anderen Novellen, einer Schauspielergeschichte und dem im Plauderton gehaltenen köstlichen Bericht von den „Greiffen- schildtschen Damen“, kommt auch Bergengruens feiner Humor zur Geltung. Es ist bewundernswert, wie überlegen er seine Mittel beherrscht und wie es ihm ausgezeichnet gelingt, in jeder Novelle die besondere Atmosphäre zu schaffen, die den Leser in ihren Bann zieht.