Briefwechsel über Recht und Unrecht

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Ein literarisches Wagnis: Dagmar Leupold lässt in ihrem Roman Heinrich von Kleist und Ulrike Meinhof über die Distanz von zwei Jahrhunderten hinweg Menschheitsfragen verhandeln.

Dagmar Leupold habe ich immer für eine besondere Schriftstellerin gehalten. Das neue Buch bestätigt mein positives Vorurteil. Sie schreibt keine bildungsbürgerliche Dienstleitungsprosa wie andere ihrer Generation oder noch ältere Herren, sondern Bücher mit überraschenden Ideen und einer lebendigen Sprache. Mit ihrem Roman „Die Helligkeit der Nacht“ verleiht sie einem eher vergessenen Genre neuen Schwung: dem Briefroman.Mit den Briefen dieses Romans bringt sie zwei Verstorbene miteinander ins Gespräch. Die Leben der beiden „Selbsttöter“ sind voneinander viel mehr als ein Menschenleben entfernt. Trotzdem ergibt sich ein Thema: die Gewalt.

Tat und Untat

Der eine Briefpartner nennt sich Heinrich von Kleist. Das Leben der Frau, an die Kleist seine Briefe schreibt, endete fast zweihundert Jahre nach seinem Leben: Ulrike Meinhof.

Eines können nur Kunst und Literatur, nämlich Tote zum Leben erwecken und über eine Distanz von zwei Jahrhunderten Menschheitsfragen verhandeln lassen. Und Dagmar Leupold kann noch mehr, sie gibt diesem „Briefwechsel“ einen unheimlich starken Touch, fast eine über die Literarizität reichende Glaubwürdigkeit. Der große Dichter stellt der berüchtigten Terroristin Fragen, wie es kein Rechtsphilosoph urteilsfähiger könnte, nach Recht und Unrecht, Tat und Untat. Kleist strengt gleichsam sein Herz an und will Meinhof verstehen, wobei sie sich wehrt, weil es ihr nicht passt, eine heutige Penthesilea zu werden.

Dagmar Leupold schiebt zwischen die Zeilen ihres Romans naheliegenderweise einen berühmten literarischen Fall von Selbstjustiz aus der Feder von Kleist: die Novelle „Michael Kohlhaas“. Kohlhaas entwickelt sich zum Rächer, weil ihm Gerechtigkeit versagt wird.

Die Schriftstellerin sieht in dieser Geschichte eine Parallele zu Ulrike Meinhof, die zunächst eine engagierte und einfühlsame Journalistin mit hohem Ansehen war und schließlich zu Gewalt und Illegalität wechselt. „Die Helligkeit der Nacht“ thematisiert diesen Seitenwechsel.

Bewunderung und Zuneigung

Zum Briefverkehr trägt Ulrike Meinhof wenig bei, Heinrich von Kleist gesteht ihr aber in jeder weiteren Epistel seine Bewunderung und Zuneigung. Das Interessante sind die Einsprengsel über die Gegenwart. Überhaupt treffen zwei Epochen geschickt aufeinander: Dagmar Leupold stellt Kleists Werke den politischen Gedanken und dem Handeln Meinhofs gegenüber.

Es ist ein Wagnis, zwei Menschen, deren Zeit keinen Tag lang kongruent war, miteinander korrespondieren zu lassen, was für eines ist es erst, zwei Deutsche zusammen zu spannen, die entweder tatsächlich oder vermeintlich für Gerechtigkeit eingetreten sind, der eine mit der Feder in der Hand, die andere mit der Hand auf der Waffe. Aber das Verstehen deutscher Entwicklung und Vergangenheit ist ohnehin eine ganz andere Geschichte.

Die Helligkeit der Nacht

Ein Journal. Roman von Dagmar Leupold. C. H. Beck 2009

206. S., geb., e 19,50

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