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Das Gedicht

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LIED VON PARIS

Du rundeste Frucht unter allen

Schwestern, wo uns nach hundeit Genüssen, leuchten, duttenden, grellen, endlich ein Kern im Mund bleibt, unauflöslich.

Nenn ihn nachtbraunen Louvre, Are de Triomphe mit der Flamme des

Unbekannten, heilige Notre-Dame.

Nenn ihn Che universitäre,

wo Marokkaner im türkisenen Sonnm

haus wohnen, nenn ihn Camping.

Daß die Jünglinge lesen dort abends unter modernen Nomaden, hat diese Stadt vor andern voraus; daneben jazzt auch die Bande wild.

Frucht, die rasch schmilzt bis aul den Kern)

unauflöslich.

Steingewordenes Baumblut. Es rätseln die Kurven aul dir und schleifen die Zunge wund, wenn sie innig wird. Steingewordenes Volksblut.

Und die Liebenden sind wie Denkmäler hier, auch andere zu entrücken.

*

Paris

mit den schieiernden Mittagen im

August über der Häusersteppe, wohin die Pilger sie lockt aller Welt und Glücksdünen vortäuscht den Wanderfüßen.

Dörrt sie auch dich aus bis zur Wüste,

dann fliehe.

In den Jardin des Plantes vielleicht, wo irische Kinderluft weht; und Mütter stricken die Herzenswünsche in weiße Hauben.

Tief unten im Bauch von Paris rasen die Därme weiter der Metro, um was zu verdauen? Werfen aus heulenden Schlünden, die fett glänzen und gefährlich, das Volk.

Nach Heiligen nennen sich mindest

so viele Haltestellen wie Zigarettensorten national.

Fliehe mit keiner Metro,

bevor es nicht Abend wird.

Bis die Pferdegespanne aufschatten

am Rosenhimmel, der sanft sich heimholt, was der Tag zu Tode getrampelt. '

Dann erst gib nach,

weil die Einsamkeit schwer ist hier,

uferlos,

wie die irren Alten zeigen, deren Fieberbeulen flecken die Boulevards...

Hinauf zum Montmartre,

wo rote Mühlen kaum findigen Wind mehr schaufeln,

sondern nur fuselnden Dunst,

der etwas vortäuscht mit Schimmelfassaden.

Bald gehl die Lust dort barfuß, die noch im Auto daherkam, wenn alle Madame Hotel empfängt mit dem eingekrusteten Lächeln des Schminktopfs.

Einst floß hier heiliges Blut zu Tal, sagt die Legende. Jetzt bestenfalls Dollars.

Ernst Jltgal, geboren 1905 in Stockerau, Niedierösterrelch, Dr. phtl., lllttelschulpro-fessor In Wien. Lyrik: Landschaften, Sonette der Zet. Etüden, Dichterisch Prosa und Erzählungen : Roggenprosa, Erinnertes Jahr, Thesen. Drama: Tantolos. Anerkentiungspreiä für Lyrik 1950 des Butidesmiinisterrums flir Unterricht.

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