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Das Wiener Kaffeehaus lebt!

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EINST DAS UM UND AUF, heute nur noch das Drum und Dran des Daseins — das ist das Kaffeehaus. Das Kaffeehaus, hier speziell das Wiener Kaffeehaus, war und ist auch heute noch eine Institution. Jedoch eine Institution, für die man „Zeit“ braucht, Zeit, um Bekannte zu treffen, Zeit zum Diskutieren. Zeit, um zu lesen. Nirgendwo bietet sich die Gelegenheit, für so wenig Geld in

so vielen Zeitungen und Illustrierten zu schmökern.

Hier kann man in Ruhe etwa bei einem kleinen Braunen in- und ausländische Zeitungen „studieren“, weiterreichen und Lesenachschub beim Ober bestellen. Einst gehörte es zum guten Ton, ein Stammkaffee zu haben, heute kommt das bevorzugte, das ständig besuchte Lokal wieder in Mode. Hier heißt der Kellner nicht einfach nur Ober, sondern der Herr Karl, Herr Heinz oder Herr Josef bringt die Schale Gold oder den großen Schwarzen.

Nach der jeweiligen Zubereitungs-art abgestuft sind die Bezeichnungen für den gewünschten „Kaffee“. Das Vokabular reicht vom Espresso (hier wiederum vom „kurzen“ bis zum „gestreckten“), über Melange, Kapuziner, Schale Gold, Brauner, Schwarzer, vereinzelt noch Karlsbader, bis zum Mokka und Türkischen — um nur die „Grundbegriffe“ herauszuheben. Perfektionisten unter den Kaffeetrinkern allerdings ergänzen ihre Bestellung außerdem mit einem beifügenden „mehr licht“ bis zu einem „mehr dunkel“, je nach Beigabe von Milch beziehungsweise Obers verschieden. Doch die breite Skala der Variationsmöglichkeiten dieser hellbraunen bis schwarzen Flüssigkeit beherrschen heute nur noch wenige Kellner und Gäste.

*

DER TODESSTOSS FÜR DAS KAFFEEHAUS schien vor wenigen Jahren gekommen zu sein. Das Espresso war für unsere geographischen Breiten entdeckt worden.

Wie Pilze nach längerer Regenzeit schössen diese in das Fluidum von Anonymität und Eile gehüllten Kurzrastplätze aus dem Boden. Hastig leerte man seinen Espresso oder einen kleinen Braunen warf ein paar Schillinge in den unermüdlich lärmenden Musikautomaten (vulgo Plattenspieler) und stand schon wieder auf der Straße, bereit zum Weitereilen. Nur kurz

war die Blüte des „echten“ Espressos. Nach und nach wurden auch hier Zeitungen aufgelegt, Sandwiches, Bohnengulasch oder Hühnersuppe wie Würstel (etwa Frankfurter mit Senf) und Eier im Glas serviert. Die Lautstärke der Musikautomaten wurde ständig vermindert. Und die Diskrepanz zwischen Espresso und Kaffeehaus ist zusehends kleiner geworden.

KAFFEEHAUSTYPEN PRÄGEN GÄSTETYPEN, und Gästetypen prägen Kaffeehaustypen. Das Kaffeehaus mit der persönlichen Note, von vielen bereits für passe erklärt, besteht noch immer. Noch immer gibt es Modelokale wie etwa das Opern-

Cafe oder das Hawelka, auch heute noch trifft man sich um fünf Uhr beim Demel oder in der Aida. Doch die spezielle Kaffeehausform, das Literaten-Cafe, wie um die Jahrhundertwende das Cafe Griensteidl, das Cafe Central oder das Caf6 Herrenhof der Ersten Republik, ist tot. Lokale, in denen ein Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil, Franz Werfel, Joseph Roth oder Karl Kraus, um nur einige zu nennen, lebten, sind vorbei. Für sie war ihr Stammlokal der Nabel der Welt, der Inspirationshintergrund, die Agitationsbühne.

Eine Gruppe von Studenten versuchte in jüngster Zeit mit dem Cafe Hohenstaufen das Literaten-Cafe zu neuem Leben zu erwecken. Doch vergebens scheint ihre Mühe, da das Lokal tagsüber aufstrebenden Jungschriftstellern und Jungpoeten dienen soll und abends beziehungsweise bis in die frühen Morgenstunden überwiegend von Pseudokünst-lern und Möchte-gerne-Genies als sogenanntes „art-center“ bevölkert wird. Permanente Weltverbesserer, bar jeder Durchschlagskraft, Rudi-Dutschke- und Juliette-Greco-Kopien sitzen auf verschlissenen Polsterbänken und erinnern unweigerlich an obdachsuchende Gammler.

Solange dieser Nachtbetrieb, und zwar in dieser Form, aufrechterhalten wird, kann hier kein ernstzunehmendes Literaten-Cafe entstehen. ★

EINE SONDERSTELLUNG UNTER DEN KAFFEEHÄUSERN nimmt die „Alte Backstube“ ein. Hier gelang es, die Atmosphäre einer ehemaligen Bäckerei mit der Tradition des Altwiener Kaffeehauses zu verschmelzen.

1963 schien für eine der ältesten Wiener Bäckereien, die seit 1701 in der Josefstadt ihren Betrieb — ohne Unterbrechung — aufrechterhielt, das Ende gekommen zu sein. Die Backöfen sollten abgebrochen, Backküche und -stube umgestaltet und das Lokal vermietet werden. Das Josefstädter Heimatmuseum wollte unter allen Umständen das Haus erhalten und fand nicht nur einen engagierten Hausbesitzer, sondern auch einen interessierten Baumeister, der hier ein Kaffeehaus errichten wollte.

Gemeinsam wurden veraltete Handwerksgeräte aufgespürt und für das Kaffeehaus alias Museum erworben. Von Backformen aus Ton und Simperln aus Stroh über Hohlmaße für Mehl und Teigwaren bis zu zwei Backöfen zum Einschießen und Eindingbüchern reicht die gesammelte „Beute“. So weiß der Kaffeehausbesitzer zu berichten, daß er auf der Suche nach einem Backofen in kürzester Zeit sieben angeboten bekam.

Das Kaffeehaus, in fünf „Abschnitte“ aufgelockert, zieht viele

Ausländer an. So kam vor einiger Zeit eine Gruppe Amerikaner in das Lokal und blieb erwartungsvoll eine halbe Stunde vor einem der Backöfen stehen. Aufgefordert, doch endlich Platz zu nehmen, erklärten sie, auch sie möchten „Semmeln frisch aus dem Backofen“ serviert bekommen, speziell „aus diesem Backofen, aus dem schon Kaiser Franz Joseph sein Morgengebäck bezog“.

Nachmittags wird der in verspielt-biedermeierlichem Dekor gehaltene Vorderraum bevorzugt, abends konzentriert sich der Besucherandrang, vorwiegend Theaterbesucher, auf die rustikal eingerichteten „Hinter“-räume mit ihren zur Schau gestellten Backformen aus Kupfer und Keramik.

Die „Alte Backstube“, in ihrer Art das erste Kaffeehaus in Verbindung mit Museum in Europa, hat sich bald für seinen Besitzer als „gutes Geschäft“ erwiesen. Immer wieder kommen neue Gäste hierher, um bei einer Schäle Kaffee oder einem.Glas Wein Handwerks- und Heimatkunde zu bewundern und zu studieren.

GEZÄHLT SIND DIE TAGE des „Cafe Schmalvogel“ im 7. Bezirk,

wenn nicht in letzter Minute noch ein „Wunder“ geschieht.

Das Lokal, Treffpunkt für Architekten, Journalisten, Maler, Schauspieler und solche, die es werden wollen, muß laut Räumungsbefehl anfangs Jänner „abbruchbereit“ sein.

Als „Cafe zum lieben Augustin“ vor 200 Jahren gegründet, ist es seit 40 Jahren im Besitz der Familie.

In einer Mischung aus Kitsch, Plüsch und Atmosphäre, viel Atmosphäre, eilt die stattliche Besitzerin von Marmortischchen zu Marmortischchen, nimmt Bestellungen auf, erzählt ein paar Geschichten, ruft laut werdende Jugendliche resolut zur Ruhe und wird somit zu einem Anziehungsfaktor des Lokals.

„Weil ich in ganz Wien kein echtes Geselchtes für meine Speckbrote mehr auftreiben kann, selche ich Speck und Würste eben selber“, versichert sie überzeugend und führt die Besucher in die „Rauchkuchl“. In dem rußgeschwärzten Raum baumelt neben Speck und Würsten alter Hausrat von der Decke.

In den fünf Räumen des Lokals sind die „Schätze“ so manches Dachbodens untergebracht, da hängen alte Waffen neben japanischen Lämpchen, Marmorbüsten stehen zwischen Klassikerausgaben und Holzfiguren wechseln mit Landschaftsbildern — und verbreiten somit das Fluidum liebenswerter Sammlerleidenschaft.

Ein Cafe mit einer eigenen, das Wienbild vieler Besucher ergänzenden Note. Ein Haus, wahrlich erhal-tenswert, dem das bittere Ende erspart bleiben möge.

NOCH GIBT ES DIE CAFES, in denen der Gast, stets vom selben Ober bedient, stundenlang in Zeitungen blätternd, eine Unzahl von immer neu servierten Gläsern frischen Wassers hinunterleeren kann.

Noch lebt das Wiener Kaffeehaus, in das man geht, um Bekannte zu treffen, um mit Freunden zu einer Partie Schach, Tarock oder Billard zusammenzukommen oder am Stammtisch mit den Stammgästen über die großen wie kleinen Probleme des Alltags zu diskutieren.

Es lebt noch dieser „schlampige, korrupte, unbezwingliche und unvergleichliche Geist des Wiener Kaffeehauses“, wie F. Torberg resümiert.

Er lebt noch, doch zusehends verborgener, teils in die Bezirke außerhalb des Gürtels geflüchtet, teils in unscheinbaren Gassen versteckt, doch stets bereit, neu entdeckt und aufgenommen zu werden.

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