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Den Abgrund unter sich

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In sechs prägnanten Erzählungen schildert der französische Schriftsteller Andre Chamson Jugenderlebnisse, die sein ganzes Leben beeinflußt und geformt haben. Sein Knabendasein war geprägt vom Aigoual, einem wilden Bergmassiv der Cevennen, deshalb steht die Bergwelt Südostfrankreichs im Mittelpunkt aller Geschichten.

Zu zweit oder zu dritt unternahmen die Knaben aus dem Städtchen Le Vigan nächtliche Bergtouren, um am frühen Morgen das erste „Aufsprühen der Sonne“ zu erleben. In Berghütten ließen sie die oft ganz durchnäßte Kleidung am offenen Feuer trocknen, während sie, in Decken gehüllt, gegen die Kälte ankämpften. In einer dieser Hütten erhofft sich der Jüngling Andre das erste LieK'serleWis; er ist nahezu jeder raswinn gewachsen, er konnte das schwere Gepäck und die ermüdete, fremde Frau den weiten Anmarschweg hinaufschleppen, aber oben, jener ganz neuen Situation gegenüber, versagt er. Er gehört allein den Bergen. Die luftperlenden Bergwasser, die nicht die Schwere der Talflüsse haben, sind das Ziel seiner einsamen Wanderungen. Dort trifft er auch einmal seinen Todfeind. Ihre Gegnerschaft haben sie von ihren Groß- und Urgroßeltern ererbt; ein ewiger Kampf zweier einheimischer Geschlechter. Nicht zu einer Prügelei kommt es, sondern zu einem erbitterten Wettstreit an einer senkrecht aufsteigenden Felswand. Den Abgrund unter sich, mit zitternden Knien, erklimmen sie die Höhe. Sie sind zu Bergkameraden geworden, aber unten in der Stadt gibt es > keine Freundschaft zwischen ihnen. Heute ist der 62jährige Schriftsteller Andre Chamson Museumsdirektor, Leiter des Staatsarchivs und Mitglied der Academie francaise, doch unauslöschbar haben sich, wie die Erzählungen zeigen, seine Kindheitserlebnisse und die rauhe Bergwelt in sein Leben eingraviert.

Die Novelle „Die Wahrheit unter der Haut“ von Guy Ganachaud erzählt von einem Großstadtjungen, der als Krüppel von allen zurückgesetzt wird. Sein Vater, der beständig andere „Mütter“ nach Hause bringt, behandelt ihn wie einen Prügelknaben. Seinem Elternhaus versucht der Bub zu entfliehen, indem er einen alten Mann in einem Kellerversteck aufsucht. Eine zwielichtige Gestalt: ein Büchernarr, der von der Polizei gesucht wird und sich vom Alkohol ernährt. Der Alte, ein gestrauchelter Schauspieler, «ersucht mit frommen Aussprüchen das Kind von dem schlechten Weg abzuhalten, den er vorher selbst beschritten hat.

Eine zu stark auftragende und zuwenig auf die Eigenwelt des Kindes eingehende Moraleeschichte, die mit der Ermordung des Alten und mit dem Selbstmord des Buben endet.

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