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Der Club der lebenden Dichter

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Der Spruch Senecas, mit dem Pädagogen ihre „Opfer” seit je her zu größerem Lerneifer antreiben wollen, und demnach wir „nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen”, hat für die „Schule für Dichtung” einen anderen als den üblichen Sinn. Gelehrt wird nämlich nichts, was man im gewöhnlichen Sinn „brauchen” könnte, nichts, was verwertbar wäre oder sonst „etwas (sprich Geld, Ansehen et cetera) bringt”. Ihr Gründer und rühriger Promotor Christian Ide Hintze ist 1991 angetreten, Unvereinbares zu vereinen. Denn Literatur, so Ide Hintze, ist immer antiinstitutionell, während eine Schule eine Institution ist. Daraus ergibt sich ein erstes Spannungsfeld. Das andere besteht in dem Paradoxon der Verbindung von Lehren und Lernen mit dem schlechthin nicht Lehr- und Lernbaren. Wie zum Reispiel H. C. Artmann (einer der beliebtesten „Lehrer” der Schule) ein Gedicht schreibt, ist nicht wirklich vermittelbar. Diese Paradoxie läßt sich für Hintze nur poetisch auflösen, und darin sieht er die Aufgabe der „Schule für Dichtung”.

Doch die Poesie hat auch ihre Tücken. Trotz der Popularität, die die „Unschule” nicht nur bei Teilnehmern ihrer „Akademien” ge-

nießt, kam es im vorigen Jahr zur Peripetie, also zur „Glückswendung”. 3,8 Millionen Schilling wurden für die Akademien 1994 ausgegeben, 800.000 davon sind noch offen. Die Poesie vor dem Konkursrichter als Zeichen der Zeit? Nach einer Phase der Resignation beginnt man sich jetzt auf seine Wurzeln zu besinnen und der Krise mit poetischen Mitteln zu begegnen.

In Alma Ata (Kasachstan) lernte Hintze den australischen Organisationsforscher Anthony Judge kennen, dessen erste Frage war, wie er die Schule organisiert. „So wie man ein Gedicht organisiert”, war die Antwort. Im Laufe des weiteren Gesprächs berichtete der Leiter von Managementseminaren, daß in den Führungsebenen allmählich weg von rein logischen Strukturen hin zu , künstlerischen Methoden gegangen wird. Darin sieht Hintze eine große Zukunftsperspektive: „Die zukünftige Welt wird nicht nach philosophischen, politischen, militärischen oder wissenschaftlichen Prinzipien gebaut sein, sondern nach poetischen und daher brauchen wir ein Laboratorium, das diese poetischen Prinzipien stu-

diert”. Genau das will die „Schule für Dichtung” sein! Ergebnis: Erstens wurde die Finanzgebarung einem professionellen Steuerberater übergeben, zweitens sollen Wege der Finanzierung beschritten werden, die in der Poesie noch nicht angewendet wurden. Das, laut Hintze, neben dem ältesten Gewerbe der Welt älteste Gewerbe der Welt, also die Poesie, soll seine im Gegensatz zu jenem hohe Reputation in bare Münze umsetzen. Öb der Ruf dabei Schaden nehmen wird, ist ungewiß. Weiters kommt es auch zu den derzeit beliebten Sparmaßnahmen: Die geplante April-Akademie wird nicht wie sonst in Klassen, sondern in Form von Werkstattgesprächen mit und Vorlesungen von H. C. Artmann, Rarbara Frischmuth, Rodo Hell, Ernst Jandl, Peter Rosei, Gerhard Rühm und anderen abgehalten.

Vielleicht zukunftsweisend, hoffentlich aber budgetlochstopfend ist der „poetische Akt', der am 22. April in den Wiener Sofiensälen unter dem Titel „Nacht der Poesie” gesetzt werden wird: Konstantin Wecker wird sowohl mit seiner Rand als auch mit Rlixa Rargeld, Leena Conquest, der sibirschen Stimmkünstlerin Sainkho Namtchylak und sogar mit Falco auftreten, H. C. Artmann und Wolfgang Rauer werden lesen. Das hat insofern programmatischen Charakter, als Christian Ide Hintze meint, daß sich Schriftsteller deshalb auf eine neue Kulturschrift einzustellen haben, die Audio-, Video-, Computer-Elemente haben wird.

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