7137516-1998_01_05.jpg
Digital In Arbeit

„Der lange Weg in die Zukunft"

Werbung
Werbung
Werbung

Der Autor des vorliegenden Buches, Balkan-Korrespondent der „Kleinen Zeitung", ist nicht einfach einer unter jenen vielen, die als Journalisten das blutige Geschehen im ehemaligen Jugoslawien von 1991 bis 1995 verfolgten. Wer - wie der Rezensent, damals selbst Redakteur der „Kleinen Zeitung" - in jenen Jahren fast täglich mit dem in seiner Heimatstadt Agram/Zagreb lebenden Orssich telefonierte, weiß, daß dieser den Krieg nicht nur minutiös und penibel mitverfolgt, sondern buchstäblich mitgelitten, -gebangt, -gehofft hat.

Daß das die Zusammeharbeit der Redaktion mit Orssich nicht immer einfach gemacht hat, versteht sich: „Er (Orssich, Anm.) sehe den Konflikt zu sehr aus dem kroatischen Blickwinkel, warfen wir ihm vor, er seinerseits vermißte in unseren Kommentaren und Analysen den strategischen Gesamtüberblick, in dem wir wiederum immer einen verschwörungstheoretischen Grundzug zu erkennen glaubten", beschreibt Michael Fleischhacker, nunmehr stellvertretender Chefredakteur der „Kleinen", diese Situation präzise im Vor wort des Buches.

Dessen Entstehen ist nicht ohne den Hintergrund der „Kleinen Zeitung" zu verstehen, die den benachbarten geographischen „Baum von Beginn an in ihre europäische Perspektive miteinbezogen" (Fleischhacker) und diesem für ein Regionalblatt überproportionale Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Alexander Orssich kam so fast täglich in Bericht, Kommentar oder Analyse zu Wort. Sein Buch kann nun auch als reflektierte und vertiefte Bilanz dieser Korrespondententätigkeit vergangener Jahre gelesen werden. Man merkt ihm den tagesjournalistischen Zugang seines Autors an, auch dessen noch aus der zeitlichen Distanz zum Geschehen vorhandene persönliche Betroffenheit. Es wäre freilich zu kurz gegriffen, wollte man den „langen Weg in die Zukunft" nur quasi als Konzentrat einer Summe von „Kleine-Zeitung"-Artikeln sehen. Orssich erweist sich als profunder Kenner der Geschichte und der Mentalitäten der Region. So läßt etwa sein Kapitel über die vom dualistisch geprägten Bogumilentum beeinflußte bosnische Kirche, die vor der Eroberung des Landes durch die Türken (15. Jh!) eine wichtige Rolle spielte, erahnen, wie tief die religiösen Wurzeln des ethnischen Konflikts in Bosnien reichen.

Das Buch beginnt in düsteren Tönen, und es stellt auch keinen verheißungsvollen Ausblick ans Ende. In Umkehrung des Satzes von Clausewitz diagnostiziert Orssich für Bosnien: „Dort ist heute die Politik die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln". Die Fertigstellung des Buches fiel zeitlich mit den schweren Unruhen in Albanien rund um dubiose Pyramidenspiele zusammen. Das letzte Kapitel heißt demnach: „Als die Pyramiden' stürzten ..." Aber das Buch hat keinen eigentlichen Schluß. So als wollte Orssich den Lesern sagen, daß die blutige Geschichte der Balkanländer noch nicht zu Ende sei ...

BUER LANGE WEG IN DIE ZUKUNFT Neue Staaten am Balkan. Von Alexander Orssich HB Styria-Verlag, Graz Wien Köln 1997 Wm 223 Seiten, öS 198,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung