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Die Farben der Ndebele

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Wer die großen Worte auf das Kleine verschwendet, dem fehlen sie dann angesichts des wirklich Bedeutenden, weil sie verbraucht und zu Kleingeld geworden sind. Das gilt für die Kunst, das

tilt auch für Bücher. Begegnet man ann einer Kunst, wie sie die Fotografin Margaret Courtney-Clarke bei den Frauen des Ndebele-Stammes in Südafrika entdeckt hat, und dem Buch, in dem sie diese Entdeckung dokumentiert, dann darf man sie auspacken, die großen Wortei darf ruhigen Gewissens vom Außerordentlichen sprechen, vom Großartigen, von der singularen Entdeckung.

Und kann sie sich doch auch wieder sparen, die großen Worte, wenn man auf die Bilder verweisen und sagen kann: Sehtl

Ohne kulturelle Kontakte zur Außenwelt, ohne Ahnung von moderner Kunst, schaffen die Frauen des Ndebele-Stammes in Südafrika eine Alltagskunst, die allen Kriterien

ferecht wird, die man sonst an die Verke einiger der ganz Großen der modernen europäischen Malerei anlegt. Man denkt an Mondrian, man denkt an Kandinski, aber auch ein bißchen an Klee, an Braque, wenn man die Häuser der Ndebele, genauer: der südlichen Ndebele, die im südlichen Transvaal leben, sieht.

Es ist kaum zu begreifen, daß wir zehn Jahre warten mußten, bevor dieses zuerst in New York publizierte Buch auch einen deutschen Verleger fand, zehn Jahre, in denen es, was Wunder, zum Kultbuch wurde und in denen es daraufhin einigen Ndebele-Fi-auen gelang, auf dem Kunstmarkt. Fuß zu fassen. Danken wir dem Münchner Verlag Freder-king & Thaler!

Die südlichen Ndebele sind ein Stamm von schätzungsweise 400.000 Menschen und man kennt zwar recht ungefähr - ihre Herkunft, ihre

Wanderungen in den letzten 400 Jahren, ihr generelles Festhalten an den Traditionen, weiß aber so gut wie nichts über die Entstehung des Brauches, ihre Häuser zu bemalen.

Es hat sich dafür auch lange Zeit nie jemand so intensiv dafür interessiert, daß es zu einer repräsentativen Dokumentation gekommen wäre. Margaret Courtney-Clarke lebte längst nicht mehr in Südafrika, als sie den Gedanken an eine solche Dokumentation faßte, aber ihre Erinnerung an die Ndebele-Häuser war lebendig geblieben. Es stand zu befürchten, daß aber von der Kunst, die sie dokumentieren wollte, nicht mehr viel übrig war, was noch das Fotografieren lohnte.

Courtney-Clarke kam zur rechten Zeit. Unter den Millionen vom Apartheid-Begime umgesiedelten Menschen waren auch die Süd-Ndebele. Obwohl sie ihre neuen Wohnstädten auf kleinen, vegetati-onslosetfParzellen errichten mußten und die Männer, soweit sie Arbeit hatten, täglich bis zu acht Stunden im Autobus verbrachten, malten die Frauen mit Inbrunst. Und mit von der Regierung, für die Kunst ein angenehmeres Ventil für den Überdruck des Leides war als Gewalt, kostenlos verteilteh Farben - manche Ndebele-Frauen durften sogar öffentliche Gebäude mit Wandbildern im „Ndebele-Design” verzieren.

Man weiß zuwenig über die Ndebele-Malerei früherer Jahrzehnte, um eindeutige Aussagen über deren Entwicklungen zu machen. Einige Fachleute meinen, sie sei im Niedergang, was angesichts der äußeren Umstände, unter denen sie entsteht, kein Wunder wäre. Courtney-Clarke selbst vermutet, wenn sie die neuen Malereien mit denen ihrer Erinnerung vergleicht, eine Entwicklung zu strengeren geometrischen Formen feststellen zu können. Interessanter Gedanke der Autorin: Könnte dies eine Reaktion auf die rechtecki-

ge Form ihrer trostlosen Grundstücke darstellen?

Der traditionellen Ndebele-Künst-lerin ist nicht am Beifall gelegen. Ihre Sprache kennt nicht einmal ein Wort für „schön” (auf Englisch ist er ihr natürlich vertraut). Malen ist eine kultische Handlung. Sehr wohl aber drückt sich in dieser Kunst viel Individualität aus, weshalb recht und billig und sehr zu rühmen ist, daß die Autorin stets den Namen der Malerin oder, wo nicht eruierbar, den der Familie nennt.

Sehr wichtig sind die Beziehun-

fen zwischen den Wandbildern, der atigkeit des Malens und der Kleidung im Sinne des Gesamtkunstwerkes. Aussage der Künstlerin Franzina Ndimande: „Wenn ich meine Tracht anziehe und vor mein bemaltes Haus trete, dann herrscht vollkommene Schönheit.”

Wozu sich europäische Künstler nicht zuletzt unter dem Einfluß der afrikanischen Kunst durchkämpften, Stilisierung der Wirklichkeit durch Abstraktion, das ist für die Ndebele-Frauen selbstverständlich. Die elektrische Lampe (die sie meist nicht haben), die TV-Antenne (die sie auch nicht haben), der Telefonmast, wurden zu vom Zweck gelösten Formelementen. Oft werden diese, ebenso wie Treppen, „uflys” (Flugzeuge) und so weiter, in gegenseitiger Übernahme und Beeinflussung immer weiter verfremdet.

Seltsam, daß, anders als etwa die Bildhauerei, gerade die traditionelle afrikanische Malerei so lange ignoriert wurde. Fast hätte ich es vergessen: Die Fotos von Margaret Courtney-Clarke sind ein Kunstwerk für sich.

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