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Die Quacksalber parodieren

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Der Hof im görzischen Schloß Bruck bei Lienz ist Schauplatz für die Aufführung der ältesten weltlichen Spiele Tirols. Schock oder Gefallen, das war bereits die Frage beim Entschluß des Kulturamtes, Südtirols noch nie aufgeführte Fastnachtspiele dem Publikum unserer Zeit vorzusetzen. Der Schock über die Derbheit war am Beginn da. Das ist nicht zu leugnen. Denn Lienz war in den letzten Jahren zur Tiroler Hochburg des tiefreligiösen Mysterienspiels geworden. Teufel als Diener, Totentanz und Tiroler Faust hießen die bisherigen Stücke. Korrupte, weibersüchtige Advokaten, lebenshungrige Mädchen, keifende Alte und betrügerische Knechte verblüffen heuer durch ihr leidenschaftliches Spiel.

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Der Hof im görzischen Schloß Bruck bei Lienz ist Schauplatz für die Aufführung der ältesten weltlichen Spiele Tirols. Schock oder Gefallen, das war bereits die Frage beim Entschluß des Kulturamtes, Südtirols noch nie aufgeführte Fastnachtspiele dem Publikum unserer Zeit vorzusetzen. Der Schock über die Derbheit war am Beginn da. Das ist nicht zu leugnen. Denn Lienz war in den letzten Jahren zur Tiroler Hochburg des tiefreligiösen Mysterienspiels geworden. Teufel als Diener, Totentanz und Tiroler Faust hießen die bisherigen Stücke. Korrupte, weibersüchtige Advokaten, lebenshungrige Mädchen, keifende Alte und betrügerische Knechte verblüffen heuer durch ihr leidenschaftliches Spiel.

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Auf die Quacksalberparodie des Neustift-Innsbrucker Osterspieles von 1391, das der Arztknecht Rubin durch seine Späße und die Entlarvung des alten Scharlatans trägt, folgt das älteste deutsche Gerichtsspiel, es ist natürlich ein schlüpfriges Ehegericht, in der Sterzinger Fassung des Vigil Raber von 1510.

Haben solche Spiele in unserer Zeit noch irgendeine Berechtigung? In ihrer mimischen Turbulenz sind sie alpenländische Commedia dell’arte, die dem begabten Volksschauspieler für sein Typenspiel ungeahnte Möglichkeiten bieten. Groteskmasken wie beim Schemenlauf hängen über dem Podium. Und Grotesktänze im Breughel-Stil vereinen den Haufen fröhlicher Krüppel nach allen Kämpfen. Was hat es zu bedeuten, wenn sich die lüsternen Advokaten beim Plädoyer mit Kügelchen aus Ohrenschmalz bombardieren, lautstark schneuzen, sich mit ihren „gelehrten“ Schriftrollen Fechtszenen liefern und bei der fingierten Trauung die übelsten Ratschläge von der Welt erteilen, wenn sie sich über den Schmerz der Mitmenschen königlich amüsieren? Das Mittelalter kannte die Gebrechen und erzog auch durch das Gegenbild, nicht nur durch das Vorbild. In überschwenglich komödiantischen Szenen treiben überhäßliche, meist gichtbrüchige und zwielichtige Figuren ihre derben Späße, denn zu Fastnacht wird die Weit auf den Kopf gestellt. Christi Pichler, die sich vom lüsternen Arztweil! in eine keifende Alte verwandelt, Gerhard Wassnig als eine Art tirolischer Galomir und der blutjunge Reinhard Meirer als der gichtbrüchige Advokatstechen besonders hervor.

Hätte das osttirolische Lienz nur das Mysterienspiel gezeigt und das Lachen vorenthalten, es wäre nur dem einen Gesicht des Volksschauspieles gerecht geworden. Aber im südlichen Tirol, dessen Traditionen Lienz erneuert, blühte einst nicht nur das Kirchenraumspiel der Passion, sondern auch in der Wirtshaus- stube „ze vasnacht" das närrische Treiben, das jedem seine besondere Narrenrolle zuwies.

Der ausgezeichnete Ruf, den sich die Osttiroler Volksschauspiele unter Norbert Hölzl in den letzten fünf Jahren erworben haben, zeigt sich auch in den Gastspielen auf Schloß Straßburg in Kärnten und im Spielhaus des salzburgischen Altenmarkt.

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