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Die Wandervignette

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Schachspielen mit 200 Millionen gespeicherten Zügen kann der Computer bereits meisterhaft und siegreich gegen das Superhirn Kasparov. Aber beim „Boad Pricing” für ein paar tausend Autos, da gibt's noch Schwierigkeiten, die groß und teuer sind, daß sich der Aufwand nicht auszahlt. Deshalb obsiegen soziale Gerechtigkeit und In-dividual-Pickerl bis auf weiteres auf Österreichs Autabahnen. Wie käme denn auch ein Kilometerfresser, der ohnehin durch den Verkehr stark belastet und bestraft ist, dazu, auch noch dafür mehr zu bezahlen als der biedere Sonntagsfahrer!

Eigentlich wollte ich über unsere endlosen Pickerl-Leidensgeschichten nichts mehr schreiben. Aber wir sollen ja, schon der Gesundheit zuliebe, möglichst positiv denken. Und da entdecke ich, welch herrliche und nachahmenswerte Idee diese Vignetten sind. Unterstützt bei dieser erfreulichen Sicht hat mich ein wackerer Waidmann, der neugewählte Salzburger Landes Jägermeister.

Nein, nicht Waffen- oder Munitionspickerl für die Grünröcke hat er gefordert, damit deren Junioren nicht auch noch in der Schule herumballern. Ein rechter Jäger wirft die Flinte nicht ins häusliche Korn, sondern verwahrt sie sicher im versperrten Schrank, so-ferne er nicht damit auf der Pirsch ist.

Der frischgebackene Landesjägermeister hat es mit dem Pickerl überhaupt nicht auf seinesgleichen abgesehen, sondern auf jene Naturburschen, die seinesgleichen im Walde stören. Er hat überdies nur laut ausgesprochen, was an manchen Waidmännischen Stammtischen längst Dauerthema ist: daß nämlich zwischen Auto- und Wildbahn kein prinzipieller Unterschied ist. Das heißt, daß auch der Benutzer von Waldwegen für seinen Wanderluxus zu bezahlen hat.

Nähere Details über dieses Inkasso fehlen. Aber es ist in der Spar- und Schröpfgesellschaft klar, in welcher Form das Wood Pricing auf uns zukommen soll: eine Wald- und Forstweg-Benützungs-Vignette. Grünbraun stelle ich sie mir vor, mit stilisiertem Baum, hinter dem ein Reh hervorlugt. Selbstverständlich analog zur Autobahn: Wochen-, Monats- und Jahresvignetten. Auf den Hut, das Revers oder auf die Stirn zu picken, preislich abgestuft, zum Unterschied vom Autobahnpickerl mit Familienrabatt. Erhältlich an den Wald-Mautstellen, kontrolliert von der Jägerschaft. Und leider auch dieselbe Sozial-Problema-tik wie auf der Autobahn: Wer täglich kilometerweit im Wald umherrennt, zahlt nicht mehr als der müde Sonntags-Wanderer. Insoferne kein gerechtes Wood Pricing!

Womit nach gemachtem Vignetten-Anfang eine erste Fortsetzung gefunden wäre. Ungeahnte Pickerl-Möglichkeiten tun sich noch auf. Die Gehsteig-, Kinderwagen- und Radfahrer-Vignette steht, um es im modernen Diskussionsdeutsch zu sagen, „im Raum”.

Die Reisebüros haben erst kürzlich angekündigt, für Beratung und Prospekte ohne Buchung eine Gebühr ein-zuheben. Wie war's mit einer Reisebüro-Vignette? Auch benützen manche Zeitgenossen diverse Geschäfte oder Supermärkte, um sich da nur umzuschauen und zu informieren. Store Pricing in Vignettenform wäre die Lösung.

Die Abnützung denkmalgeschützter oder denkmalwürdiger Kirchen durch Touristen erreicht in einigen Zentren Autobahnfrequenz. Wie froh wäre mancher Pfarrer, wenn es eine Vignette als Church Pricing gäbe, damit er nicht bloß auf die milden Gaben der Schaulustigen angewiesen wäre!

Ja, und was die Luftreinhaltung inklusive Ozon-Abdichtung erst kostet! Jeder atmet hierzulande gratis und zehrt vom allgemeinen Sauerstoff. Air Pricing ist angebracht. Und wer keine Vignette auf seiner Nase hat, dem stopfen die Kontrollore dieselbe zu. Die darauf folgende Konsequenz ist bereits eingeführt. Earth Pricing in Form von Grabgebühren ist längst üblich. Nur noch ohne Grabstein-Vignette. Der Tod ist halt hierzulande etwas diskreter.

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