Werbung
Werbung
Werbung

Georg Petz erzählt in seinem Roman "Die Tausendjährige Nacht" die ganze Geschichte einer Zivilisation.

Ein Mann stürzt eine Treppe herab: "Hals- und Nackenwirbel zu Bruch gegangen", außerdem eine Kehlkopffraktur. Man könnte nun sagen, dem Mann bliebe die Erinnerung, wenngleich es für die Zukunft nicht wirklich gut aussehen mag. Aber Amnesie kommt auch noch hinzu, womit Georg Petz diese Figur zu einem Etwas macht, das wie Freuds Wunderblock fortan neu beschriftet werden wird, während manche alte Narbe als Gravur unter den Schriften nur Frage bleibt.

Der Figur wird erzählt, was zuvor war; und zwar gleichsam überhaupt. Es wird eine ganze Geschichte ausgebreitet, und zwar einer Zivilisation. Sie beginnt mit einem Flugzeugabsturz, die Überlebenden, die der Rettung harren, werden nicht gerettet und beginnen also ihre Geschichte neu. Freilich der Vorgeschichte verbunden, die jeder Anfang in Wahrheit ist, da jeder Sündenfall auch und gerade im ganz Neuen unvermeidlich ist.

Amnesie universell

Dabei wird dreierlei sprachmächtig ausgereizt: Erstens der Spielraum des Berichts, der ja immer Vorstellung und Impetus gleichermaßen in sich trägt, selbst im Privatesten: "Nichts […] gab ihm Halt in der Leere, die in seinem Kopf war. […] Nur mehr die Beliebigkeit seiner Vorstellungswelt, die zugleich alles und nichts war." Insofern da etwas Universelles durch die Amnesie der Figur schimmert, ist das die Eröffnung eines nicht unspannenden Diskurses.

Zweitens reizt Petz die Möglichkeiten des Zivilisatorischen aus, das eine Abfolge der Ungerechtigkeiten ist, die modellhaft auf jene der realen Welt verweisen. In der Enge einer Stadt erstehen Kasten und hernach Stände und Klassen mit ihren Rechten und Ressentiments; die Bürgerlichkeit, die den Absolutismus ablöst, wird gründlich ambivalent vorgeführt, auch die Logik der Assimilierung oder aber Ausgrenzung werden durchexerziert - und zuletzt gibt es den Kapitalismus.

Bei alledem reizt Petz drittens freilich auch die Geduld des Lesers aus. Der "Horror Vacui", den Petz thematisiert, prägt das Buch (allzu)oft, vor allem dann, wenn sich der Autor dabei ohnehin in Gemeinplätzen verrennt, daran geht, "die alten, abgeschmacktesten locos communes der Menschheit durchzupeitschen", wie es Goethe in einer Kritik formulierte.

"Im Wandel der Zeit wandeln sich auch die Probleme.

[…] Auch sich wandelnde Probleme bleiben sich im Wandel der Zeit am Ende gleich."

Da steigt der Erzählduktus doch in allzu luftige Höhen, um schon währenddessen die Plattitüde zu erfüllen, die gleich folgt: "Wer hoch steigt, muss auch tief fallen."

Das gilt so oft, dass den Verfasser beim nächsten Buch nachdrücklich auf einen knapperen Stil und eine etwas spannungsvollere Entwicklung des Konkreten zu verpflichten nahe läge; zu viele Mäander sind nicht Friktion und Zugewinn, sondern Ballast, der sich in Ausrufen wie "Alle Kunst ein Kriegskind! Alles Liebesspiel ein Ringen!" bedauerlich erschöpft.

Ausufernd erzählt

Den Eindruck verstärkt schließlich, dass Petz Wittgenstein zitiert: "Die Welt ist alles, was der Fall ist." Neben der Knappheit des Philosophen macht sich das Ausufernde des Romans besonders ungünstig; wo Wittgenstein um der Eleganz willen Argumente nicht ausführt, argumentiert und belegt Petz so exzessiv die Fabel, die er erzählt, dass derselben ihre Evidenz abhanden zu kommen droht.

Das ist teils die Intention des Werkes, freilich:

"Darein fallend, wieder.

Und: endlos in seinem Fall."

Ganz aber rettet es das Werk nicht, das mit seinen Redundanzen das Gute, das dem Werk zu attestieren ist, verdeckt. Ein Kraft- und fast Gewaltakt, darin imponierend; doch zugleich ein Text, der bei all seinen brillanten Momenten verhaltener, kompakter und präziser ausfallen hätte können und dürfen.

Die Tausendjährige Nacht

Roman von Georg Petz

Bibliothek der Provinz, Weitra 2006

425 Seiten, geb., € 34,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung