Christine Wiesmüllers "Garten".Ein Begräbnis ist der Auftakt dieser Familienzusammenführung. Joseph, der älteste Sohn eines wohlhabenden Landwirtes, hat sich entleibt. Entleibt, denn schon der Klappentext fragt: "Ist der Mensch, verleiblichte Seele' oder, bloße Natur'?"Es folgt ein Text über dieses Problem sowie die Nabelschau mehr oder weniger Schuldiger, der Geschwister des Toten: Hans und die Zwillinge Katharina und Leopold.Die angehende Psychiaterin Katharina ist durch Schuldgefühle an ihren mathematisch hochbegabten Zwillingsbruder gekettet, während der Künstler Hans -
Kein Ruheplatz ist das Gedicht bei Rose Ausländer. Es gibt noch Neues von der Autorin zu entdecken: wie etwa im Band "Deiner Stimme Schatten".Das Werk Rose Ausländers, 1901 in Czernowitz geboren, zählt heute zum kanonischen Bestand der Lyrik des 20. Jahrhunderts; man mag manches bemäkeln, so die Qualitätsschwankungen und eine poetologische Naivität, die aber mehr Gerücht als Faktum ist, doch am Gewicht dieser Stimme ist kaum zu rütteln. Noch immer ist manches zu entdecken, etwa ihre Übersetzungstätigkeit: Sie hat 60 Gedichte von Christian Morgenstern übersetzt, diese Texte werden
Vielleicht ist die Wahrheit nichts als Gerücht und Geheimnis, wie es die Texte von Dan Lungu kolportieren?In Rumänien tut sich was, auch literarisch. Das produktive Chaos des Landes, gepaart mit den Spuren und Ausläufern der kommunistischen Bürokratie, ergibt offenbar die Ausgangsbasis für eine Literatur, die einen Sinn fürs Surreale hat, aber auch für die feine Miniatur - und einen oftmals verzweifelten Humor.Dan Lungu versteht es, mit Spannungen umzugehen, in Texten, die Gerüchte und Geheimnisse kolportieren, um zu zeigen, dass auch die Wahrheit nichts als das ist. Im Roman "Das
Kunstvoll gesponnen und unterhaltsam zu lesen: "Ein Haus jenseits der Welt".Gleich zu Beginn des eigenartigen Bandes Ein Haus jenseits der Welt von Georgi Danailov erfährt man zweierlei: dass sich die Geschichte hier ins Patchwork von Geschichten auflöst, dass aber auch die Topografie relativ wird. Hier "ist die Entfernung bis Sofia eigentlich egal", und zwar nicht nur den Protagonisten … Denn es geht in "ein Dorf wie ein Märchen".Statt einer Topografie und einer sie universalistisch begründenden Philosophie geht es hierum, und mit der Erzählbarkeit auch um Heimat. "Das ist mein!"
Genaue und kluge Beobachtungen über Venedig von Predrag Matvejevic.Hüte dich vor Allgemeinplätzen, meide sie", so lautet einer der ersten Sätze des vorliegenden Bandes aus Betrachtungen und Beobachtungen, der sich ausgerechnet Venedig zum Gegenstand nimmt. Auch Predrag Matvejevic fragt: "Was kann man zur Geschichte dieser Stadt noch hinzufügen", was gäbe es, das man an und von ihr "noch nicht gesehen hat?" Von da an ist man durch das understatement beruhigt, in der Folge erfreut, dass der Autor in der Tat allerlei findet, was man noch nicht gesehen haben mag.Denn Matvejevic wird dem
Patrik Ouredník erzählt von der Eroberung des Paradieses, das deswegen zu Hölle wird.Im Jahr 1855 brechen gleichgesinnte Idealisten gen Brasilien auf: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit … doch sehr rasch holt sie die Realität ein, und zwar auch und vor allem jene der eigenen Menschlichkeit, der das hehr Angedachte zu abstrakt ist. Der Erzähler protokolliert diesen Verfall, wobei das Motto von E. M. Cioran stammen könnte: "Im Leben eines Dichters kann es keinerlei Erfüllung geben. Denn Leben ist nur bei Nichtbeachtung des Lebens möglich."Mit Die Gunst der Stunde legt Patrik
Georg Petz erzählt in seinem Roman "Die Tausendjährige Nacht" die ganze Geschichte einer Zivilisation.Ein Mann stürzt eine Treppe herab: "Hals- und Nackenwirbel zu Bruch gegangen", außerdem eine Kehlkopffraktur. Man könnte nun sagen, dem Mann bliebe die Erinnerung, wenngleich es für die Zukunft nicht wirklich gut aussehen mag. Aber Amnesie kommt auch noch hinzu, womit Georg Petz diese Figur zu einem Etwas macht, das wie Freuds Wunderblock fortan neu beschriftet werden wird, während manche alte Narbe als Gravur unter den Schriften nur Frage bleibt.Der Figur wird erzählt, was zuvor war;
Adam Zielinskis Roman "An der Weichsel".Wie jeder Fluss, so hat auch die Weichsel ihre Buchten, Verästelungen, Mäander - und Untiefen. In seinem Roman An der Weichsel geht Adam Zielinski all dem nach, wobei schon das Inhaltsverzeichnis dem Prinzip gehorcht, "der Daten eingedenk" (Celan) zu sein. Denn nach einem Prolog zur Geographie werden kapitelweise Schicksale mit Namen derer, die sie durchleben, aufgezählt; ein Personenverzeichnis zu Beginn unterstreicht dies.Die Weichsel, so lernt man, sei "eine freie Königin der Flüsse", jedoch klug, "ein kluger Fluss, sie spottet darüber, eine
Jean Bollacks jüngste Annäherung an Paul Celan enttäuscht.Mit Paul Celans Lyrik ist der Literatur eines jener Werke gegeben, die glatt wie eine Harpune in die Kultur eingehen, doch sich ihr hernach weder integrieren noch - wegen des Widerhakens - aus ihr entfernen lassen. Eine große Schar von Philologen laboriert daran, dieses Werk zur Erträglichkeit zu entstellen, das Wort gewordene schlechte Gewissen des Sprachlichen selbst also zum Verstummen zu bringen.Jean Bollack ist einer der einst verdienstvollsten, weil diesen Prozess beeinspruchenden Celan-Exegeten. Die im Titel seines neuen
Günther Loewits tiefschwarzer Roman über einen Landpfarrer: "Krippler".Nomen est omen. Krippler: Im Titel des Romans von Günther Loewit klingt eine Verkrüppelung an, die in der Figur des Josef Krippler in der Tat nicht zu übersehen ist, nämlich in seiner Psyche. Aus schlichten Verhältnissen stammend, entschließt er sich, metaphysischer Karrierist zu werden, das heißt: Landpfarrer.Fortan ist er wichtig, womit sich zeigt, dass seine geringe Veranschlagung aller Immanenz doch nur Schein ist, vor allem aber nichts, woraus die so forcierte Transzendenz wirklich erwüchse. Kommen ihm
Martin Klugers Geschichten: grotesker als das Leben.Mit Der Koch, der nicht ganz richtig war legt Martin Kluger Geschichten vor, wie sie so nicht einmal das Leben schreibt. Eine Volte nach der anderen, alles stringent, dabei leicht - und immer so grotesk, wie die Welt ist, dann aber auch um das lebensrettende Quäntchen grotesker.Die Geschichten sind dabei gegen den Tod gerichtet, den sie schildern. Ein ans Leben gerichtetes "Verweile doch", das darum so am Leben hängt, weil es Erfahrungen älter als es selbst in sich trägt. So sagt Kluger respektive sein Erzähler von jener Tante, der der
Thomas Hürlimann erzählt von zwei nicht unsympathischen Menschen.Was ergibt es, wenn eine stilsichere Pianistin namens Marie Katz und ein einfacher Mann namens Max Meier, den die Macht anzieht, einander ehelichen? Eine Erfolgsgeschichte, denn Wille, Kraft und Eleganz ergeben hier eine Einheit. Machtwille und ein wenigstens "leichtes Make-up", das ist überzeugender als primitives Gleichschalten, zum Beispiel zwecks prügelnder Bodyguards.Aber darum geht es in Thomas Hürlimanns Vierzig Rosen dann gar nicht, sondern um jene Beziehung, die jährlich mit den titelgebenden Rosen zelebriert wird,
Christine Kaspers Roman "Gegengewichtung" erzählt mehr Abhandlungen denn Handlungen.Mit Gegengewichtung legt die Wiener Germanistin Christine Kasper ihren Erstlingsroman bzw. ihre Erstlingsromanszenen vor. Dabei weist sie schon früh recht explizit darauf hin, was den Leser hier erwarte: Da heißt es nämlich, man lehre "Literaturstudenten spätestens im zweiten Semester [...], dass es in der hohen, der echten, guten Literatur immer weniger um erzählbare Inhalte geht". Schon richtig, und doch ist das ja kein Inhaltsverbot, das hier jedoch ungeachtet seiner Inexistenz exakt befolgt wird. So
Kurt Drawerts Essay über "Madame Bovary".Emma Bovary ist eine der großen Figuren der Weltliteratur, doch: Wer war diese Frau? Diese und noch mehr dieser Frage stellt sich Kurt Drawert in seinem Buch "Emma", worin er noch einmal ihren Weg beschreitet, die Geschichte als Element der Gewordenheit des Heute aufrollt.Unerfüllte LeidenschaftWer also war Madame Bovary? Sie ist ein Wesen, das von einer sympathischen Unberechenbarkeit ist: Mit der Ungeduld und Ursprünglichkeit des Kindes fordert sie das eigentliche Glück ein, das freilich ebenso wie die Ironien und Brechungen der Lebensgestaltung
In seinem neuen Buch zeigt Friedrich Hahn, wie man Sprache lautmalerisch zu Wort kommen lassen kann.Friedrich Hahns Textwelten lassen die Sprache zu Wort kommen - "die sprache ist es, die etwas will", so heißt es programmatisch in diesen Texten. Schrift will sich immer neu schreiben, Möglichkeiten ein-und falsche Eigentlichkeiten ausräumen. Das prägt auch den bewegten Raum dieser Schriften.Die Spannung des Unterfangens spiegelt der Titel des Bandes: "neue zyklen", das deutet auf das Alte, das variiert wird, und das Neue, das aufs Alte doch rekurriert, wenngleich nicht dieses, vielmehr
Martina Wieds vergessener Roman über einen reichen Jüngling.Martina Wied (1882- 1957) ist eine wichtige Vergessene der österreichischen Literatur. Für ihre Qualität spricht dabei schon, dass sie "so gründlich vergessen" wurde, wie Karl-Markus Gauß im Vorwort des nun wieder aufgelegten Romans "Die Geschichte des reichen Jünglings" schreibt. Wer so gründlich aus dem Gedächtnis entfernt wird, der muss in beunruhigender Weise zwischen Welten und Sprachen stehen - im Falle Wieds ist es der bürgerliche Duktus, womit sie dem Bürgertum den Prozess macht.UnösterreichischDies macht die
Michael Stavaric' Roman"stillborn".Listen und Litaneien haben es Stavaric angetan - war sein letzter Band überhaupt als "Litanei" untertitelt, so kommt man auch in seinem neuen Buch, einem Roman, nicht umhin, derlei zu lesen: "Herz, Nieren, Herzschmerz, Herzensangelegenheiten, Herzinfarkt, Herzmuskel, Herztransplantat, herzlich, ein Herz aus Glas".Dieses Buch ist dabei freilich oft im doppeltem Sinne listig, denn wieder spielt der Autor mit großer Lust die Allgemeinplätze gegeneinander aus, das Stillleben, das "stillborn" heißt und schon am Umschlag mit einem toten Eichhörnchen aufwartet,
Wolfgang Hermann lässt seinen Protagonisten dem Rhythmus der "Katzenzeit" folgen.Der Protagonist von Wolfgang Hermanns neuem Roman lebt außerhalb der beschleunigten Zeit der Gegenwart, ist ein passionierter, aber auch sozusagen naturgemäß Entschleunigter, der dem Rhythmus der "Katzenzeit" folgt. Sein Restzeit-Refugium in einer Zeit, in der nicht die Hausfrau, sondern der "Staubsauger {...} das Sagen" hat - eine Formulierung, an der Günther Anders gewiss Freude gehabt hätte -, sind die Umwege, die die Ortskenntnis erhöhen. Dieses Raum-und Zeitrückgewinnen kann man in Hallenbädern
Max Blaeulichs "Kilimandscharo zweimeteracht".Du primitiver Sautrottel, verlauster Zulukaffer"- es sind Litaneien dieser Art, mit denen Max Blaeulich zeigt, wie die Zivilisation oder doch das, was sich dafür hält, ihren Segen nach Afrika bringt. Mehrere intellektuell schwer herausgefordert wirkende Österreicher sind es konkret, die mit Waffen fuchtelnd und Genitalien vermessend noch das düstere Bild über-bzw. untertreffen, das Adorno von der Aufklärung und ihrer Dialektik zeichnet.Ins Herz der Finsternis - Joseph Conrad wird in Anspielungen gewürdigt - geht es also Richtung Europa.
Zwei literarische Versuche, Europa zu buchstabieren.E. A. Richters Gedichte "Eurotunnel" fragen danach, was Europa sei, finden es im Lokalen, sind genial illustriert und nicht nur Europäern zu empfehlen.Die Dringlichkeit, nach dem zu fragen, was Europa sei, ist nicht mehr nachzuweisen - E. A. Richters Band tut dies dennoch. Europa gleicht dabei schließlich jener Poesie, die einen gewissen Halt aus ihrer Regelmäßigkeit gewinnt, aber andererseits diese Stringenz nie Starre werden lässt. Europa wird aus dem Lokalen gewonnen, aus der "Region", die Schmidt-Dengler schon am letzten Gedichtband
Ingram Hartingers Gedichtband "Spätes Argument".Die Erprobung der Sprache ist es, die sich durch Ingram Hartingers Arbeiten zieht - in zwei Richtungen, denn zum einen soll diese als Erkenntnisinstrument dienen, dann aber auch über ihre Belastungsgrenzen geführt werden, da das Andere von der Sprache nicht nur einem Schatz gleich gehoben, sondern auch leicht bis zur Unkenntlichkeit nivelliert wird. Dabei überlässt es die sensible Sprache Hartingers dem Leser, welches Moment jeweils zum Tragen komme - er muss antworten: Ingram »Milgram« Hartinger. Dies ist dann der Beginn für weitere
Wolf Wondratscheks "Saint Tropez und andere Erzählungen".Das Leben ist ein Spiel; das bedeutet nicht, dass es unernst wäre - der Spieleinsatz ist ja kein geringer, nämlich das Glücken der Existenz. Es bedeutet aber, dass man, um seine Essenz zu erfahren, eben mitspielen muss. Wobei "ein Spiel unterbrochen und spielerisch jederzeit in ein anderes verwandelt werden kann", wie der Autor alsbald vermerkt. Der Verdacht, dass wir es mit einem Sprachspiel zu tun haben, ist naheliegend, schon deshalb, weil es in der Folge um die Gesetze des Fabulierens geht. Das ist das Verketten von Daten (bei
Clemens Bergers Roman "Paul Beers Beweis" bleibt hinter den Möglichkeiten seines Plots immer wieder zurück.Höflichkeit ist Klugheit", bemerkt Schopenhauer: "Höflichkeit ist [...] eine offenkundig falsche Münze: mit einer solchen sparsam zu seyn, beweist Unverstand, hingegen Freigebigkeit mit ihr Verstand." Unter diesem Aspekt muss man Clemens Bergers Buch loben, schon den Beo am Cover, einen sprachbegabten Rabenvogel, alles sehr rund und sehr sympathisch. Auch die Grundidee ist interessant und so freundlich wie der besagte Vogel am Titelblatt: Kann man - dem Vogel im Käfig ähnelnd - aus
Christoph Pichler (Jahrgang 1969) bietet in seiner Sammlung von Kurzerzählungen einen Parforce-Ritt durch die Normalität in ihren Abgründen, aber auch wundersamen Erlösungen. In einem angenehm präzisen und ökonomischen Duktus lässt der Verfasser sogar Medusa höchstselbst der Suche nach dem Kennwort für ein altes Sparbuch wegen die Schalterhalle einer Bank betreten.Wunderbar ist dabei, wie die Sprache nicht nur Träger der Handlung, sondern diese selbst wird - und nicht zuletzt darum, um die Folgen des Imaginierens und Darstellens sowie des Durchdringens solcher Imagination, dreht sich
Nikolaus Glattauers zweiter Roman: ein düsteres Bild des Jahres 2084.Nikolaus Glattauer legt mit "Im Vogelblick" seinen zweiten Roman vor, eine Utopie in der Tradition von Orwell und Huxley, worin ein düsteres Bild des Jahres 2084 gezeichnet wird, dessen Düsternis freilich - wie in diesem Genre üblich - von Entwicklungen herrührt, die sich heute gesellschaftlich abzeichnen.Die Grundidee dabei ist die Beherrschung des Menschen durch sein Sehen - bei Huxley u. a. durch Konditionierung, bei Orwell durch Propaganda, bei Glattauer nun durch Sehbehelfe, die beim Sehen doch nicht nur helfen:
Jochen Jungs kleiner Roman "Venezuela".Mein Vater war ein Nazi, kein Zweifel." Jochen Jung, der als Autor schon einen guten Ruf hat, beginnt sein Buch so, als wollte er diesem den Garaus machen - denn die anekdotisch überlieferte Definition der österreichischen Literatur durch eine Hamburger Kritikerin, wonach Rustikales, derbtragisch, mit eindeutigem Duft versehen dazu gehöre, und Weihrauch als Komplement des Stallgeruchs, sie wird hier zunächst geradezu übererfüllt.Da wird eine (klerikal-)faschistische Familiengeschichte aufgerollt, mit Heil Hitler und Briefen des Vaters, "daß der
Monique Schwitters Erzähldebüt liegt am Puls der Zeit und ist dennoch angenehm unzeitgemäß.Monique Schwitters Erzählungen zeichnen sich durch mancherlei aus, was an der PopLiteratur bleibend gefällt, ohne dieser zuzurechnen zu sein: Das Tempo, das betont Unprätentiöse und das Urbane bestechen, während beispielsweise die in der Pop-Literatur beliebte Unart zahlloser Listen betreffend der Leser unbehelligt bleibt, nur einmal mit aufgezählten Handlungsoptionen der Ich-Erzählerin konfrontiert wird.Monique Schwitter (*1972) legt also ein Debüt am Puls der Zeit vor, das doch angenehm