Martina Wieds vergessener Roman über einen reichen Jüngling.
Martina Wied (1882- 1957) ist eine wichtige Vergessene der österreichischen Literatur. Für ihre Qualität spricht dabei schon, dass sie "so gründlich vergessen" wurde, wie Karl-Markus Gauß im Vorwort des nun wieder aufgelegten Romans "Die Geschichte des reichen Jünglings" schreibt. Wer so gründlich aus dem Gedächtnis entfernt wird, der muss in beunruhigender Weise zwischen Welten und Sprachen stehen - im Falle Wieds ist es der bürgerliche Duktus, womit sie dem Bürgertum den Prozess macht.
Unösterreichisch
Dies macht die produktive Irritation dieses Panoramas aus, an dem die Autorin fünfzehn Jahre schrieb, wenngleich die nichtrevolutionäre Lösung, dem Scheitern eine Würde zu geben, sich dann doch in eine Entsagungsphilosophie und geradezu-lust entlädt; überhaupt neigt die Verfasserin dem Philosophieren und dann auch der Synthese zu, ein bürgerlicher Links-Hegelianismus also, der sich schließlich sozusagen masochistisch-katholisch vollendet. Die für die österreichische Literatur nicht gerade charakteristische Wendung zu Hegel mag sich dabei der Bekanntschaft der Autorin mit dem im Roman freilich sehr eigenwillig porträtierten Georg Lukács verdanken.
Zweifelsohne von Lukács stammt in der Folge die "transzendentale Obdachlosigkeit": "Man muß gelernt haben, was es bedeutet: ein Obdach!" Dieses metaphysische Unbehaust-Sein ist die Essenz einer Welt, in der das Scheitern fast schon von einer Notwendigkeit ist - unausweichlich und moralische Verpflichtung zugleich, da Gott eben vor allem als Forderung der Askese und nicht als Einrichter oder wenigstens Nur-Richter der Welt begriffen wird. Diesen unordentlichen Verhältnissen setzt die Verfasserin von Platon bis Plotin Metaphysik entgegen, die eigentlich Paraphysik ist: Verhinderung der Natur, die grausam und sinnlos wie der hier konsequent entlarvte Kapitalismus sei - ein "Flohtheater" im besten Falle. Im Zentrum dieser Schilderungen steht Adam Leontjew, eine zwar archetypische, doch dann auch unklare Gestalt - denn zu Beginn steht der dem Fatum ausgesetzte und selbstverschuldet unmündige Mensch, am Ende (nach dem Kontakt mit der Revolution) der in der erfahrenen Einzigkeit geläuterte und erlöste novissimus Adam.
Der leidende Mensch
Dazwischen steht logischerweise eine Passion, und zwar meist Adams, manchmal aber auch des Lesers: die 785 Seiten sind nicht durchgängig ökonomisch formuliert. Bis zu einem gewissen Grad ist das natürlich gerechtfertigt, dort nämlich, wo der Jargon, der der Welt ihre (oder doch seine) Ordnung gibt, als "gespreizter, anspruchsvoller Unsinn" skizziert wird - rührend und lächerlich zugleich. Aber dieser Jargon wird eben nicht immer konkretisiert, es gibt auch Passagen, denen es ohne solche Notwendigkeit schlicht an Dichte mangelt.
Abendland
Gerade für jene Stellen gilt das, wo die Notwendigkeit der gezeigten Entwicklung suggeriert und betont werden soll; der Weg von der Bürgerlichkeit in deren Übersteigerung bis hin zur sublimierten Bürgerlichkeit der Wissenschaft, die Wendung zum Kommunismus und vor allem eben die katholische Kehre, wobei es sich um einen doch deutlich sozial gedachten Katholizismus handelt, der dann zugleich der geografische Mittelweg zwischen Preußen und Russland ist. Dieser Europagedanke, der das Werk mit einer ganzen Reihe kakanischer Visionen verbindet, ist aber nur fein angedeutet. Das Individuelle des Humanismus lässt sich desgleichen nur ahnen, aber nicht begrifflich fassen, auch das Katholische - Gott "als Dompteur [...] mit hohen Lackstiefeln"? - oszilliert; das Universelle der Uneindeutigkeit ist freilich die Qualität der Lebensform, die da zuletzt nicht nur behauptet, sondern im tastenden Stil gespiegelt wird.
Die Wiederentdeckung des Bandes und der Autorin war wichtig - gerade die aporetischen Passagen, worin aus der Unsicherheit heraus die Sprache beredt wird, lassen daran keinen Zweifel aufkommen. Geduld und Leselust vorausgesetzt: ein Buch, das zu lesen sich lohnt.
Die Geschichte des reichen Jünglings
Von Martina Wied
Sisyphus Verlag, Klagenfurt 2005
785 Seiten, kart., e 20,-
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