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Wolf Wondratscheks "Saint Tropez und andere Erzählungen".

Das Leben ist ein Spiel; das bedeutet nicht, dass es unernst wäre - der Spieleinsatz ist ja kein geringer, nämlich das Glücken der Existenz. Es bedeutet aber, dass man, um seine Essenz zu erfahren, eben mitspielen muss. Wobei "ein Spiel unterbrochen und spielerisch jederzeit in ein anderes verwandelt werden kann", wie der Autor alsbald vermerkt. Der Verdacht, dass wir es mit einem Sprachspiel zu tun haben, ist naheliegend, schon deshalb, weil es in der Folge um die Gesetze des Fabulierens geht. Das ist das Verketten von Daten (bei Wolf Wondratschek der Zahl "23" und zahlloser Namen) mit der Imagination. Rasch zeigt sich dabei, dass scheinbar verkettet wird, was doch nur als schon immer verbunden zu denken ist.

Genauer: "Es ist seltsam, wie viel wir erfinden müssen, um das Leben zu verstehen" - nicht etwas ist hier immer schon verbunden, doch das Verbundensein sozusagen a priori gegeben. Ganz so erschlagend, wie all das vermuten lässt - also quasi als Wittgensteinigung -, fängt der Band aber nicht an, vielmehr wird der Leser recht behutsam in diesen Kosmos eingeführt, dessen Ordnung durch den in ihm Lebenden und seine Antworten erst ein ganzer wird. Es sind erst diese "minimalen Unregelmäßigkeiten"; aufgrund derselben "bleibt etwas übrig".

Wo alles funktioniert, da bleibt also nichts übrig; so im Falle des Feuerwehrmannes, der sich langweilend in einem Theater "den Saal nach Anzeichen einer Gefahr ab(sucht). Es gab keine, was er, wenn er ehrlich war, manchmal bedauerte." Dann aber geschieht etwas, eine "Panne, die ihn in einen Menschen verwandelt", freilich kein Feuer, sondern Mozart, dessen Musik in ihn dringt, worauf er das richtige Leben träumt. Dieses Leben aber kann er nicht artikulieren, "Mann und Weib und Weib und Mann", das kann er seiner Frau nicht als mehr denn einen sexuellen Traum schildern: "Es wurde, was eine Umarmung hätte sein sollen, ein kurzer Kampf." Die Notwendigkeit und Unmöglichkeit der Kunst, ein Echtes zu evozieren, doch durch die Lüge ermöglicht und vielleicht auch nobilitiert zu sein, werden hier intensiv lesbar, wenngleich die Frage, ob "eine Umarmung ein Kampf" sei, schon Sören Kierkegaard stellte - und die Dissonanz Mozarts als "Dissonanz zum Dissonierenden" schon von Adorno verstanden wurde.

Aber Wondratschek behauptet all das gar nicht, er lässt es aufleuchten, arbeitet mit Evidenzen. Die leuchten noch in Beiläufigerem auf: "Er war dumm, so verliebt war er" - das ist hier schon nicht mehr Bemerkung, auch nicht mehr nur Psychologie, das grenzt ans Metaphysische, da der Satz mit der dargetanen Notwendigkeit dieser Liebesblödigkeit, ohne die die Welt auch blöd ("Viel klüger als einer, der nichts versteht, ist die Welt auch nicht.") und noch dazu lieblos wäre, eine Verbindlichkeit gewinnt.

So entrollt Wondratschek eine Welt, und zwar gekonnt; einzuwenden ist allenfalls, dass das, was hier gekonnt ist, nicht auch immer den Eindruck macht, gemusst zu sein. Wo sind in seiner Sprache die "minimalen Unregelmäßigkeiten", die der Autor nachgerade beschwört? Ein höheres Maß an Sprachradikalität wäre bei aller Musikalität des Duktus denkbar gewesen, und zwar vor allem dort, wo der Autor wie angedeutet variiert, was vorgedacht wurde - siehe Kierkegaard, siehe Adorno, siehe auch etwa Platon: "Ein Tier, wahrscheinlich war ich das, bis Gott zwei Menschen daraus machte", das klingt doch sehr nach dessen Kugelmenschen-Mythos. Trotzdem: Dieser Band ist facettenreich, intelligent und sehr zu empfehlen.

Saint Tropez und andere Erzählungen

Von Wolf Wondratschek

Hanser, München 2005

192 Seiten, geb., e 18,40

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