Fast ein Inhaltsverbot

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Christine Kaspers Roman "Gegengewichtung" erzählt mehr Abhandlungen denn Handlungen.

Mit Gegengewichtung legt die Wiener Germanistin Christine Kasper ihren Erstlingsroman bzw. ihre Erstlingsromanszenen vor. Dabei weist sie schon früh recht explizit darauf hin, was den Leser hier erwarte: Da heißt es nämlich, man lehre "Literaturstudenten spätestens im zweiten Semester [...], dass es in der hohen, der echten, guten Literatur immer weniger um erzählbare Inhalte geht". Schon richtig, und doch ist das ja kein Inhaltsverbot, das hier jedoch ungeachtet seiner Inexistenz exakt befolgt wird. So erfüllt sich dieser Satz, der wie eine Drohung wirkt; tatsächlich erlebt die Heldin des Textes nichts, das sie dann aber in einen Roman zu fassen gewillt ist, wovon nun wiederum Kasper berichtet ...

Absenz des Inhalts

Es ist also eine Form, in die nun Inhalt schösse, doch dessen Absenz und die creatio ex nihilo der Gedanken ohne Gedankenanstoß sind auch die Pointe des Buches. Statt einer Handlung gibt es kleine Begebnisse, woran dann entweder mehr oder weniger Belesenheit demonstrierende Sprichwörter folgen, oder aber Abhandlungen, die oft originell sind, sich manchmal aber auch wie Erörterungen lesen, jene Textgattung also, die es aus guten Gründen jenseits der Schulbank eigentlich nicht gibt. Da sind einfach zu breit geratene Exkurse über falsche Bildungs-ideale A.D. 2006, das Geistesklima, das die Akademie bewog, Klimt als Professor und Hitler als Studenten abzulehnen, und Goethe-Zitate.

Richtig unbehaglich sind nur jene Spitzen wider die political correctness, die nicht sitzen, so die Klage: "Wenn einem ein Werk, das den Nazis nicht gefallen hat, auch nicht gefällt, hat man schon so gut wie ,ja' zu Auschwitz gesagt ..." Das ist so geartet, dass man sich wünscht, die Autorin hätte ihrer Figur da doch mehr Klarsicht zugedacht.

Produktiv abwegig

Meist aber ist das, was da an Gedankenlawinen daherkommt, auf produktive Weise abwegig. Und das weiß die Autorin auch, die in der Tat viel Ironie und Intelligenz mitbringt, etwa wenn sie schreibt: "Die Interpretation stand in ihren Grundzügen schon fest, nur das Objekt der Interpretation fehlte noch." Eine Sinn-Totale sei nicht mehr zu leisten, Bildung der Einblick in die "historische Zufälligkeit".

Diese manchmal sogar grenzgenialen Einsprengsel legitimieren den Text, und doch denkt der Leser: Warum nicht mehr davon, verpackt indes in einen Aphorismenband?

Die Bemerkung, man liebe zunächst wie, dann aber: dass man lebe, Exkurse ins Geschäft der gender studies, da ist viel Material - schade, dass es sich im nicht gegebenen Rahmen der absenten Geschichte etwas verliert.

Schade auch, dass sich die Verfasserin hinter alledem versteckt; sie wüsste es ja, dass man in Leben und Studium "auf viele Sätze (stößt), die viel brauchbarer zu sein scheinen als jene älteren". Aber indem sie sich den Worten nicht überlassen mag, ihre Wortspiele wie "Warnung vor dem narfen H" (so liest sich eine korrodierte Warnung vor dem scharfen Hund-Plakette) blass bleiben, ihre Handlung auch nicht in Spannung mit dem Bildungsbürgeridiom tritt, kommt dieses Moment der Sprache nicht so, wie es der Autorin gewiss möglich wäre, zum Tragen.

Inspiration für Träume?

Alles in allem ein seltsames Buch, das aber nicht schlecht gefällt - und im Falle eines Falles kann man es bei Missfallen noch immer der Heldin gleichtun, die weiß, es sei ja "jeder Mangel eine Inspirationsquelle für Träume"...

Gegengewichtung

Sieben Romanszenen und ein Epilog von Christine Kasper

Kitab Verlag, Klagenfurt 2006

262 Seiten, kart., e 22,-

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