Verkrüppelung der Psyche

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Günther Loewits tiefschwarzer Roman über einen Landpfarrer: "Krippler".

Nomen est omen. Krippler: Im Titel des Romans von Günther Loewit klingt eine Verkrüppelung an, die in der Figur des Josef Krippler in der Tat nicht zu übersehen ist, nämlich in seiner Psyche. Aus schlichten Verhältnissen stammend, entschließt er sich, metaphysischer Karrierist zu werden, das heißt: Landpfarrer.

Fortan ist er wichtig, womit sich zeigt, dass seine geringe Veranschlagung aller Immanenz doch nur Schein ist, vor allem aber nichts, woraus die so forcierte Transzendenz wirklich erwüchse. Kommen ihm Zweifel, weil auch Krippler das sieht - "(e)rtappte sich dabei, nach dem Wo und Ob von Gott zu fragen", "(e)rschrak dabei" -, so befeuert das nur seinen Fanatismus.

Seine Angst, die ihn auch das zölibatäre Leben schätzen lässt: "Er hatte am eigenen Leib erfahren, was die Liebe anstellen konnte. Wie konnte er Johanna erklären, dass ihre Innigkeit nicht zu wenig, sondern zu viel für ihn war?

So wird aus Feigheit die Trennung "sein erstes Zeremoniell hinter geweihten Mauern", ein "Missbrauch", wie es weiter heißt.

Diese Askese aus Angst macht den Landpfarrer zum Sadisten, der aber auch sich hievon nicht ausnimmt. "Nicht zu sanft" ist sein Motto. Er sucht geradezu die auch ihn bedrückende "Dunkelheit des Beichtstuhls", die "Leere", die "Sinnlosigkeit": "Das war der Preis, den Josef Krippler für seine Einzigartigkeit zu entrichten hatte." Einen Obolus, den er zu zahlen auch bereit ist.

Er, der das Wiedersehen mit den Verschiedenen, wenn sie freilich "alle einmal zu Staub geworden wären, nach dem Fegefeuer" imaginiert: körper-, verantwortungs-und selbstlos. Er, der nicht einmal das Gegenteil begreift, wenn die Witwe den Mann, dem er die Totenmesse gelesen hat, auch dann "nie […] wiedersehen" möchte.

Reaktion des Körpers

Die vorschnell abgetane Frage: "Wo bei deinem Gott willst du deine Lust befriedigen? […] So fein wie ich wird er es dir nicht machen." Diese Frage abzutun rächt sich, wie man jetzt längst ahnt. Der marginalisierte Körper antwortet mit Symptomen, die Psychosomatik wird zu einer Somapneumatik, einer Zerstörung von Geist und Seele durch die ruinierte Körperlichkeit.

Summe aller Verdammnis

Der Pfarrer, der den Fußball verachtet - nämlich "seine Sinnlosigkeit" -, ist doch schließlich auch nur "Orgel-und Seelenspieler", eine aber nicht nur sinn-, sondern auch lustlose Existenz. Am Ende sind alle Träume nur die Schatten von Schuld, und so klingt denn auch dieses Buch tiefschwarz aus: Letztlich sei "jedes Leben nur die Summe aller Verdammnis, die entsteht, wenn der guten Vorsätze zu viele sind".

Die Schwärze dieses Buches ist - und das überrascht - neu. Nicht neu wäre die Darstellung von Klerikalfaschismus, wie sie hier dankenswerterweise unterbleibt. Die Deformation des Helden ist seine, ihre Kompatibilität mit seiner Ausübung des Priesteramtes aber keine mit dem Christentum - und schließlich einfach tragisch. Nicht neu wäre die Darstellung des Sadismus, der hier anklingt, der aber zu einem Selbstverzehr alles Immanenten führt, wie man ihn in dieser Dichte selten lesen durfte.

Kompakt werden also Aporien der Schwäche des Seins, das es selbst nicht sein will, abgehandelt und konkretisiert. So im Falle des Bauches, der schließlich, da er zum Symptom der Leibfeindlichkeit werdend erkrankt, liebkost wird - diese listige Inversion einer Vergötzung in eine andere, das Glück am Leid darin: Wer wollte den Abgrund in der Sorge des Ehemannes ausmessen, der den Schmerz der Frau streichelt, welche mit einer "ungestillte(n) Sehnsucht", und zwar nach einer "Genugtuung, die sie in der Ehe nicht erfahren durfte", gleichsam schwanger geht.

"Und auch wenn Johanna nach einer großen Operation noch einige Jahre leben sollte, es war viel zu spät, als die Ärzte dann bemerkten, was die Wut und die Verzweiflung in ihrem Bauch angestellt hatten."

Zerstörte Endlichkeit

Die Sorge um die Ewigkeit zerstört so die Endlichkeit; mehr noch als eine Verspätung der Chirurgen ist es eine des Klerikers, der schließlich um und auch in sich alles verdorren lässt. Als Plädoyer für eine Umsicht im Umgang mit dem scheinbar bloß Endlichen und Formalen, wie sie diesen Band denn auch auszeichnet, ist das Buch nicht nur lesenswert, sondern sogar von unbestreitbarem Gewicht.

KRIPPLER

Roman von Günther Loewit

Verlag: Skarabaeus,

Innsbruck 2006

164 Seiten, geb., € 19,90

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