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Genaue und kluge Beobachtungen über Venedig von Predrag Matvejevic.

Hüte dich vor Allgemeinplätzen, meide sie", so lautet einer der ersten Sätze des vorliegenden Bandes aus Betrachtungen und Beobachtungen, der sich ausgerechnet Venedig zum Gegenstand nimmt. Auch Predrag Matvejevic fragt: "Was kann man zur Geschichte dieser Stadt noch hinzufügen", was gäbe es, das man an und von ihr "noch nicht gesehen hat?" Von da an ist man durch das understatement beruhigt, in der Folge erfreut, dass der Autor in der Tat allerlei findet, was man noch nicht gesehen haben mag.

Denn Matvejevic wird dem Versprechen, das der Titel seines Bandes Das andere Venedig darstellt, gerecht und präsentiert aus den Details ein anderes Venedig, ein Ganzes, das von den Stereotypen divergiert, die nur soweit gegeben sind, dass der Gegenstand der Beschreibung identifizierbar bleibt - aber was heißt das, wenn Venedig zugleich sich verwandelt?

Der Verwandlung wird in der Tat Beachtung geschenkt. Dem Rost, der durch das Meerwasser überall frisst, und der Patina, worin alles in Verbindung mit seinem Umfeld tritt, jedenfalls, wo es organisch ist … dies ja der Unterschied zwischen Kunststoff und etwa Holz, wie der Philosoph Soentgen darlegte: Holz bekommt Patina, auf Plastik bleiben Schmutzablagerungen. Matvejevic schreibt von der Patina, aber auch davon noch, "wenn die Patina verblasst und zu zerbröckeln beginnt".

Das Kleine bestimmt das Große, wichtig ist es etwa, dass "die Madonna nicht nur selig, sondern auch schön" ist - und diese Mikrologie würdigt eben zuletzt folgerichtig die verfallende Materialität: "In Venedig ist der Rost prachtvoll, die Patina ähnelt Blattgold."

Venedig wird so zur unter dem behutsamen Blick des Autors aufblühenden Pflanze; die Pflanzen sind dem Verfasser ja allgemein lieb, so vermerkt er, es gebe an den "Orten, die in den alten Schriften erwähnt werden, […] anscheinend viel weniger von diesen Pflanzen, Gräsern und Blumen", ein "Büschel Bilsenkraut habe" er "auf dem Camp della Guerra gefunden".

Pflanzen sind wiederum jenes Organische, das zugleich Verneigung vor der Zeit ist, und damit vor dem Anderen. Denn Zeit ist das Verhältnis zu diesem, und die "bescheidenen Kräuter heilen vielleicht auch die Intoleranz", wie es im Band heißt, der so assoziativ aus dem Detail nicht nur ein Ganzes, sondern eine kosmologische Skizze gewinnt. Oft ist ja der Blick, der sich aufs Kleinste und Privateste einlässt, zuletzt von solcher Universalität.

"Diese bescheidenen Kräuter heilen vielleicht auch die Intoleranz, doch leider gibt es nicht genug davon" - dies wird kraft der Sprache und Optik Matvejevic zur Beschreibung und indirekt zum beeindruckenden Plädoyer für Entschleunigung.

Der und das Andere geistern in der Zeit, die sich das Buch nimmt, und zwar auch in Zitaten. Diese nicht zu vermeiden ist auch noch originell in diesem Text, der verkündet, das "Meiden von Zitaten aus Büchern sollte […] nicht zur Regel und vor allem nicht zum Imperativ werden." Das Zitat aber ist hier Verneigung und Befreiung, "wir (zitieren) andere, um uns von uns selbst zu befreien", es ist nicht autoritär gebraucht, immer ist doch die letzte Frage: Ist dies erzählenswert? Und dank des Autors ist es das. "Eine Literatur, die […] eine Selbstrechtfertigung sucht, verliehe wahrscheinlich einer […] Entdeckung eine erhabene oder sentimentale Bedeutung." In diesem Band dagegen ist das Bedeutungslose durch den Blick darauf nobilitiert, "eine Geschichte in sich selbst" darf es sein.

Sowieso ist alles ein "Schattentheater" … wozu hier beigetragen wird, halb mit, aber dann auch frei von Platos Höhlengleichnis. Uneitel, aber sich auf das Eitle, nämlich Vergängliche einlassend - es ist alles eitel, wie es bei Gryphius heißt, worauf der Autor mit den Schultern zucken würde, sich aber vor denen verneigt, die sich dem ergebend etwas schufen: "Sie haben Venedig mehr gegeben, als es ihnen zurückgab. Sie haben Werke geschaffen, ohne einen Namen zu hinterlassen. Es wäre ungerecht, sie zu vergessen" - und die Liebeserklärung an Venedig ist eine an sie.

Liebe: Sie prägt dieses Buch insgesamt. Schließlich auch seitens des Rezensenten, der dieses Buch ins Herz schloss: einen schönen Band, dessen genaue, gebildete und kluge Beobachtungen und Formulierungen bestechen.

Das andere Venedig

Von Predrag Matvejevic

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

Wieser Verlag, Klagenfurt 2007

162 Seiten, geb., € 19,40

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