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Adam Zielinskis Roman "An der Weichsel".

Wie jeder Fluss, so hat auch die Weichsel ihre Buchten, Verästelungen, Mäander - und Untiefen. In seinem Roman An der Weichsel geht Adam Zielinski all dem nach, wobei schon das Inhaltsverzeichnis dem Prinzip gehorcht, "der Daten eingedenk" (Celan) zu sein. Denn nach einem Prolog zur Geographie werden kapitelweise Schicksale mit Namen derer, die sie durchleben, aufgezählt; ein Personenverzeichnis zu Beginn unterstreicht dies.

Die Weichsel, so lernt man, sei "eine freie Königin der Flüsse", jedoch klug, "ein kluger Fluss, sie spottet darüber, eine Königin genannt zu werden." Denn sie wird vom Menschen wie jedes Gewässer wenig pfleglich behandelt, sieht aber auch, wie wenig pfleglich der Mensch mit dem Menschen umgeht, und zwar bereits vor O´swiecim: Der Mensch "beraubt […] den Fluss all seiner Lebensenergie. Bereits vor O´swiecim unterbricht er seinen Lauf."

Dem Lauf lässt der Verfasser hingegen den Lauf, folgt den "konfliktogenen" Lebensläufen, wobei das Gestelzte der Sprache dem Übersetzer anzulasten sein mag, der aber schon zuvor eine fragwürdige Entscheidung getroffen hat, wenn er die Stadt O´swiecim nur mit ihrem polnischen Namen wiedergibt; ihr deutscher Name ist Auschwitz. Freilich: Wie das übersetzen? "Zum besseren Verständnis der dort Werksamen […] wurde […] (der) Name verdeutscht", schrieb einst Peter Weiss - Auschwitz ist der gewaltsam deformierte Name für einen Ort der gewaltsam deformierten Vernunft. Und doch muss man kein Freund der Pädagogisierung sein, um sich zu wünschen, dass darauf hingewiesen würde.

Eher essayistisch ist in der Folge der Duktus des Buches, das keinen Roman ergibt, sondern ein Flanieren durch Daten, deren historische Aufgeladenheit der Verfasser geistreich kundtut. Er dekonstruiert dabei leidenschaftlich, während die Wörter "Erbauer" und "Künstler" ihm einen Widerspruch andeuten - "Ein Erbauer des Kommunismus sind Sie, aber kein Musiker!" Aber ist es so? Der Propagandamaler ist schon als Junge geprügelt worden, da er Bauernsohn ist und als solcher nicht malen dürfe: "Der Bauer soll seinen Acker über alles lieben. Wer das vergisst, ist eine Wolfsbrut."

Die Liebe zu Blut und Boden taucht hier die Ideologie des Kommunisten in ein anderes Licht - und so ist es immer wieder, der Verfasser erzählt und denkt in Konstellationen, wie ein neomarxistischer Vernunft-und geradezu Seinskritiker sie sich wünschte: "Nicht […] geht alles auf in ihr, aber eines wirft Licht aufs andere, und die Figuren, welche die einzelnen Momente mitsammen bilden, sind bestimmtes Zeichen und lesbare Schrift."

Hier ist also nichts wahr, sondern: Eines erklärt das andere und suspendiert das dritte. Die Kunst von heute ist die zu beeinspruchende Propaganda von morgen, so die einzige Gewissheit. Ideologie und Pragmatik zersetzen einander, etwa im Falle der quasi staatlich subventionierten Prostitution: wenn jungen Genossinnen Gefälligkeiten mit "Dreitausendfünfhundert monatlich […] mit einem schriftlichen Vertrag […] für achtundvierzig Monate, ohne die Möglichkeit einer Kündigung, dafür aber mit der Bürgschaft der Bank für diese monatlichen Bezüge" abgegolten werden.

Fratze des Antisemitismus

Scharf gezeichnet ist die Fratze des Antisemitismus, worin Mangel an Solidarität und zugleich antiintellektuelles Ressentiment, das eine Meute in der Gesellschaft generiert, also falscher Sozialismus und Faschismus schrecklich konvergieren. Doch ist dies nicht der einzige Sündenfall des Geistes, der sich durch die Präzision der Wortwahl bestürzend klar zeigt. So sind Sprache und Beobachtung schon Häresien, worin indes alle Utopie von Humanität gelegt ist, etwa im Falle dessen, der "gegen den Brauch verstoßen (hat), die Honoratioren […] der Partei zu begrüßen […] in den Augen mancher Beobachter war dies geradezu Häresie."

Das alles wäre wunderbar, wenn sich durchgängig der Bogen aus Spannung konstituierte, These und Antithese immer verlässlich auf die Unmöglichkeit der Synthese wiesen, damit aber wären, was von dieser bleiben mochte. Aber manchmal geht es mit dem Autor durch, dann ist doch alles billige Evidenz, etwa, wenn das Klischee in vino veritas mit Schnaps formuliert wird, die Lebenskunst und das Volk einander gar zu gut verstehen und noch Reime wie "Am schönsten aber ist / Das Löchlein, das nicht pisst" das belegen sollen.

Insgesamt bleibt ein starker Eindruck; sind die Fragmente feinsäuberlich zueinander positioniert, ergibt sich aus den Sinnlosigkeiten kein Sinn, doch etwas, das sich wahrscheinlich leben und gewiss lesen lässt.

An der Weichsel

Roman von Adam Zielinski

Aus dem Poln. v. Krzysztof Lipinski

Wieser Verlag, Klagenfurt 2006

238 Seiten, geb., € 19,40

Adam Zielinski erhält am 19. April 2007 den Franz-Theodor-Csokor-Preis des Österreichischen P.E.N.-Clubs.

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