Jochen Jungs kleiner Roman "Venezuela".
Mein Vater war ein Nazi, kein Zweifel." Jochen Jung, der als Autor schon einen guten Ruf hat, beginnt sein Buch so, als wollte er diesem den Garaus machen - denn die anekdotisch überlieferte Definition der österreichischen Literatur durch eine Hamburger Kritikerin, wonach Rustikales, derbtragisch, mit eindeutigem Duft versehen dazu gehöre, und Weihrauch als Komplement des Stallgeruchs, sie wird hier zunächst geradezu übererfüllt.
Da wird eine (klerikal-)faschistische Familiengeschichte aufgerollt, mit Heil Hitler und Briefen des Vaters, "daß der Führer es schon richten werde. Es und die Feinde." Der besagte Vater heißt Alfredo Guzman und ist dann auch noch Gynäkologe ("Facharzt für unten"), der aber Soldaten und deren "ramponierte Schwänze" begutachten und kurieren muss, kurzum, auch die unglückselige Geschichte der Medizin jener Zeit des Nationalsozialismus wird noch gestreift.
Viel zu bieten
All das aber wird souverän, sprachlich sicher und mit großer Lust an der Sprache und ihren Möglichkeiten erzählt - und sehr schnell zeigt sich, dass das Buch doch viel zu bieten hat. Vor allem besticht der Text, wo Historisches und Fiktion untrennbar verschmelzen, wo Zwischentöne nun ganz unvermutet ein Bild geben, das fast schon differenzierter als die Realität zu sein scheint. So bekommt Guzman, ein schöner Mann, sehr rasch Profil - gerade auch über seine Ästhetik, die Jung mit Hintersinn so skizziert: "Schönheit war schließlich auch damals nicht einfach Geschmackssache, mal dies, mal das." Die Beliebigkeit gerade abseits des schon beliebigen Geschmacks, der ja auch nicht mit traumtänzerischer Sicherheit (beispielsweise kantianisch) auf den Gegenstand eines interesselosen Wohlgefallens zielt, wird hier doch wunderbar herauspräpariert. Ähnlich treffend wird der pathetische Duktus des nationalsozialistischen Jargons, worin alles sich gleich sein muss und also - wie Heines Loreley - umgedeutet wird, beschrieben, hervorgehoben werden bei einem Redner seine "unklaren Bemerkungen", der "unglückliche Vergleich des Gottes Donar mit Adolf Hitler" und, dass die Rede "angemessen und zu lang" war ...
Absurde Metaphern
So wird die Wortwahl ("schneidig") demontiert und der seltsame Balanceakt der Nazis zwischen Männerbund-Homoerotik sowie Homophobie verdeutlicht, werden die Metaphern der Landes- und Führerliebe - "der Führer und sein Volk oder die Frau des Generals und mein Vater" - in ihrer Absurdität gezeigt. Jung geht also mithilfe der Sprache an den unheimlichen Ort der Nicht-Sprache, wo die Inhaltsleere des Wortes oder auch des Gesichtes dieses "schöner {...} denn je" scheinen lässt, freilich: Man kennt das Fatale dieser leeren Ästhetik. Nicht leer ist die dagegengestellte Ästhetik der Sprache Jungs, der die Hilf-, Gedanken- und Sprachlosigkeit des Helden Ernst Udet präzise vorführt, der um seine Reinheit besorgt ist, weil er an Monorchidie ("Einhodigkeit sozusagen") leidet.
Klischee und Realität
Die Handlung führt nun, das legt schon der Romantitel nahe, aus diesen Verhältnissen, denn die Frau des Generals und ihr Geliebter Guzman werden ertappt, die Frau verrät mehr als nötig. Die Flucht vor dem General ermöglicht nur scheinbar unwissentlich der einhodige Udet, den der wegen der erwähnten Monorchidie konsultierte Gynäkologe nun einfach begleitet, da sie beide nach Berlin müssten und er ihm "gern noch etwas erklären" würde. Udet verurteilt, "wie schwach die Grundsätze unserer Gesinnung" im nun also Desertierten "verankert sind", aber interne Zwistigkeiten veranlassen ihn, mitzuspielen. Und Guzman bleibt nur, so zu agieren, "als würde er tatsächlich irgendwelche Zusammenhänge erkennen". So gerät er schließlich nach Venezuela; er entwickelt seinen Wortschatz von "Hastalavistaamigo" zu immerhin tausend Wörtern, allerdings nicht "den Juden" zu "Juden aus Fleisch und Blut", genauer gesagt existieren in ihm Klischee und Realität seltsam nebeneinander her, sein "Nein" zur Judenvernichtung braucht Zeit und bleibt vorerst blass neben dem sogleich erwiderten "Doch". Auf Seite 64 kommt dann sozusagen erwartungsgemäß doch noch der Weihrauch, doch zu diesem Zeitpunkt ist das Buch schon über den erwähnten Eingangsverdacht erhaben.
Jungs Text ist kurzum ein gelungenes Streiflicht auf Geschichte und Geschichten - und auf die Sprache. Dem Umfang nach klein, wie auch der Untertitel hervorhebt, ist dieser Roman es qualitativ doch keinesfalls.
Venezuela
Ein kleiner Roman. Von Jochen Jung
Haymon Verlag, Wien 2005
127 Seiten, geb., e 16,30
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