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Über allen Gipfeln nichts als — ru?

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Ueber die Rechtschreiberitform ist schon viel geschrieben und gestritten worden, seltsamerweise aber ist ihre Planung der Kritik weit weniger ausgesetzt gewesen als das Geplante. Und doch erhebt sich schon da ein« Reihe von Fragen. Ist zum Beispiel die gewählte Reihenfolge, ich meinte das Zuerst der Ausarbeitung und das Nachher des Forschens nach den Wünschen dar Betroffenen, natürlich? Versteht sich die Geheimhaltung, die Tendenz der Reform, verstechen sich die Planer von selbst?

Beginnen wir mit der zeitlichen Reihenfolge nebst der ihr gesellten Geheimhaltung. Da schreibt ein Dr. Erwin HalSsr, Präsident eines „Bundes für vereinfadhte Rechtschreibung“, in der Züricher .„Weltwoche“ von einem’ Salzburger Plan, der infolge Indiskretionen vorzeitig an die Oisffentlichkeit gebracht worden sei; aber kann es Vorzeitigkeit, kann es Indiskretionen gebeil bei etwas, was dem Wunsch der Allgemesnheit entspringen, was von ihr beraten vierden und ihr dienen soll?

Was nun die Planer betrifft: 3st «s nicht seltsam, daß vorerst sie, sodünn noch immer diejenigen anonym blieben, die sie delegiert haben, und daß man noch heute nicht weiß, nach welchen Gesichtspunkten sie denn eigentlich ausgewählt wurden? Es sind, wie sich post festum feststellen läßt, Wissenschafter; wie aber, wenn es nicht so selbstverständlich wäre, wie es scheint, gerade Wissenschafter zu dieser Aufgabe zu bevollmächtigen? Das Lebendige der Sprache ist, wenn wir vom unbewußt schaffenden Volke absehen, aus den Dichtern geworden, ob sie nun Luther oder Goethe, Dante oder Boccaccio geheißen haben, und die Aufgabe der Wissenschafter ist es, eine Entwicklung zu registrieren, aber nicht, sie zu deklarieren. Bei etwas mehr Sinn für Kategorien hätte man sich also in erster Linie an die fahrenden Sprachkünstler unserer Zeit gewandt, an einen Thomas Mann, einen Hermann Blesse, einen R. A. Schröder, einen Lernet-Hkilenia etwa, man hätte sie gefragt, ob sie« eine Reform für wünschenswert halten, und wenn sie bejaht hätten, in welcher Hinsicht, in welchem Umfang. Bei ihnen, denen die Sprache vor allem ein Ausdrucksmittel bedeutet, hätten sich ganz andere Gesichtspunkte ergeben als beim Wissenschafter, der sie als System, beim Wirtschafter, der siet als Verkehrsmittel, oder beim Pädagogen, der sie als Lehrgegenstand begreift.

Denn darüber müssen wir uns klar sein: was sich zugunsten der Reform verbringen läßt, ist außersprachlicher Art. Etwa, d ;iß sich die Schreibmaschine leichter bedienen läßt, wenn die Nötigung wegfällt, bei jedeiiri Hauptwort den Umschalter zu betätigen, oder daß dem kindlichen Auffassungsvermögen! mit einer künstlich einfachen Schreibweise besser gedient wäre als mit der schwierigem gewachsenen. Sprachlich gesehen jedoch, wie steht es mit den Argumenten der Reformer? Da wird rühmend darauf hingewiesen, die Kleinschreibung der Hauptwörter bedeute eine Gleichschaltung mit Jen Fremdsprachen. Schon daß sie das Wort verwenden — wir haben mit Gleichschaltungen nicht allzu gute

Erfahrungen gemacht… Was sie, in besserem Deutsch, meinen, ist eine Angleichung an die Fremdsprachen, und da ist zu sagen, daß die Hervorhebung der den Gegenstand der Satzaussage bildenden Wörter Sonderung und Plastik, also ein Aktivum der deutschen Schreibweise darstellt. Was sich, abgesehen von der erleichterten Bedienung der Maschine, dafür anführen läßt: die Beförderung einer Touristik, die mit „1000 Wörtern Deutsch“ unterm Arm deren 30 mühelos erlernen will, die Entlastung zurückbleibender Volksschüler, all das rechtfertigt die Ausmerzung des hervorstechendsten Kennzeichens einer Sprachschrift so wenig, wie etwa kommerzielle Gesichtspunkte die Abschaffung einer Tracht rechtfertigen könnten. Sodann die Streichung des ie: sie wurde schon früher von ostdeutschen Lehrern, allerdings nur für das Wort „wieder“, propagiert, auch hier mit einem nassen Seitenblick auf denkfaule Kinder, weil damit, hieß es, ein Großteil der Schreibfehler in den Schulaufgaben wegfallen würde. Das Argument kommt mir vor, als regte ein Jurist die Erlaubnis zum Diebstahl an, um die Gerichte zu entlasten. Die Notwendigkeit, zwischen dem „wieder“ als „noch einmal“ und dem „wider“ als „gegen“ zu unterscheiden, ist doch ein Erziehungsmittel, sie zwingt den kindlichen Geist, logisch zu denken, und nur wer von Gnaden der Dummheit seiner Wähler regiert, kann sich Untertanen wünschen, die nicht einmal diese Unterscheidung zu treffen vermögen. Der Wegfall des h als Dehnungszeichen: da passiert es ihnen vor allem, daß sie es auch dort für eines halten, wo es keines ist, denn das „Vieh“, das sie anführen — sie müßten sich den zweiten Fall des Wortes nur von einem Schauspieler vorsprechen lassen, um zu bemerken, daß es sich hier nicht um eine bloße Funktion, sondern um einen Laut handelt. Aber auch dort, wo es als Dehnungszeichen dient: eine Ahnung ohne h ist wie eine Fossilie — man muß den Verstand zu Hilfe nehmen, um zu wissen, daß sie einmal gelebt hat. Der Entschluß erinnert an den von 1901, das th fallen zu lassen, was einen wahrhaft Zuständigen, Karl Kraus, zu den Versen veranlaßt hat:

„Weht Morgenathem an die Frühjahrs- blüthe,

so siehst du Thau.

Daß Gott der Sprache dieses h behüte! Der Reif ist rauh.

Wie haucht der werthe Laut den Thau zu Perlen in Geistes Strahl.

Sie vor die Sau zu werfen, diesen Kerlen ist es egal.“

Man sieht: was nötig gewesen wäre, ist nicht eine Reform der Sprache, sondern ein« Reform der Reform. Man hätte heiligsten Wörtern mit dem Hauch- das Beseelungszeichen wiedergegeben, den meteorologischen Tau zum erquickenden Thau, das Gaswechselphänomen des Atems zum lebensschöpfenden Äthern, den bloß geographischen Begriff des Tals ■wieder zum winddurchwehten Thal machen, man hätte zumindest noch den Muth, die Thräne, die Bliithe und .das Thier in die Wiedergutmachung einschließen müssen.

Die Frage hat aber noch ihre praktische Seite. Unter einem Homonym versteht man bekanntlich Gleichheit des Wortbildes bei Wörtern von verschiedener Bedeutung, ein innigst zu Vermeidendes also, weil es zu Verwechslungen Anlaß gibt. So hat die Streichung des Doppel-a in der „Waage“ bei der Mehrzahlform der wägenden und rollenden Wagen Irrtümer im Gefolge gehabt, die eine Wiener Regierung der dreißiger Jahre bestimmt haben, sie auf dem Verordnungswege wieder aufzuheben. Die Verkürzung des th wäre also eine Gelegenheit gewesen, den Gartenthau vom hänfenen Tau, den Thon des Geigers vom Ton des Töpfers, den reinen Thor vom Scheunentor, den Neanderthaler vom Mariatheresientaler zu scheiden. Nicht nur, daß dies 1901 nicht geschehen ist, mit der soeben empfohlenen Reform werden neue Homonyme geschaffen: das Lied der Kehle wird dem Lid des Auges gleichgeschaltet, und wenn einer künftig ein Mädchen über alle Maßen liebt, so wird es aussehen, als ob er es über alle Massen täte. Das Beispiel führt uns zur Feindschaft gegen das scharfe ß: es soll fallen, weil es sieh auf den ausländischen Maschinen nicht findet. Haben etwa wir die französische Cedille, das polnische 1 oder das portugiesische ä mit der Wellenlinie? Aendern diese Völker ihr Sprachbild, um auf unseren Maschinen schreiben zu können? Und wenn man das Zeichen unbedingt vermeiden will, warum nicht die Ersetzung durch sz? Was ist es denn, wenn nicht ein Vorteil, daß das o in „große“ oder meinetwegen „grosze“ schon durch die Schreibung als lang, das in „Rosse““ aber als kurz gekennzeichnet ist?

Indes: die Maschine ist da und zum Gesetzgeber der Zeit geworden, der Hang zur Nivellierung ist da, im Geistigen wie im Wirtschaftlichen, und so kann man nicht hoffen, daß das Vernünftige oder doch nichts geschehe. Wenn ich also von diesen Möglichkeiten: der einer differenzierenden statt vereinfachenden Reform und der einer völligen Preisgabe des Reformgedankens absehe, was bietet sich als Ausweg? Soviel ich sehe, nur eine Scheidung dessen, was an der Sprache Gottes, von dem, was der Maschine ist. Oh, ich weiß, man wird aufschreien wie bei allem Ungewohnten, man wird einwenden, daß eine doppelte Schreibweise Verwirrung stiften und die Köpfe allzusehr belasten müßte, aber weder das eine noch das andere trifft zu. Die Bibel oder den „Faust“ nach den Bedürfnissen einer Stenotypistin zu drucken, würde eine weit tiefe - gehende Verwirrung schaffen als eine bloße Zweckschrift, und was die Köpfe betrifft: so, wie ein Sänger den Text einer Oper singenderweise spielend erlernt, ■während ihm dasselbe, losgelöst von der Musik, schwerfiele, so würden die heranwachsenden Buchhalter und Direktoren das ma- schinengezeugte Wortbild in Verbindung mit dem Manuellen des Maschineschreibens wie im Schlaf erlernen. Ja, es wird sich, wenn da einer praktisch schon zum driten mal one erfolg gemant wird und der gläubiger 100%ig auf zalung behart, eine Harmonie zwischen Stil und Schreibweise ergeben, die als schlechthin vorbildlich bezeichnet werden darf. Daß aber über allen’ Gipfeln nichts als ru ist, das werden wir uns nicht einreden lassen.

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