Umwege erhöhen die Ortskenntnis

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Wolfgang Hermann lässt seinen Protagonisten dem Rhythmus der "Katzenzeit" folgen.

Der Protagonist von Wolfgang Hermanns neuem Roman lebt außerhalb der beschleunigten Zeit der Gegenwart, ist ein passionierter, aber auch sozusagen naturgemäß Entschleunigter, der dem Rhythmus der "Katzenzeit" folgt. Sein Restzeit-Refugium in einer Zeit, in der nicht die Hausfrau, sondern der "Staubsauger {...} das Sagen" hat - eine Formulierung, an der Günther Anders gewiss Freude gehabt hätte -, sind die Umwege, die die Ortskenntnis erhöhen. Dieses Raum-und Zeitrückgewinnen kann man in Hallenbädern betreiben, wie Johannes Gelich in seinem Roman "Chlor" zeigt, aber auch sitzend an Seen oder in Bussen und Straßenbahnen, wie es Herr Faustini tut.

Die Schilderung dieser Abläufe ist dabei von der Qualität, die der Autor seine Figur Schriftstellern abverlangen lässt, "heller und irgendwie klarer" wird, was das genuin Menschliche dieses Sandkorns im Getriebe ist, was also das Exemplarische dieser Figur ist, die doch nichts Papierenes hat, schon der Ironie des Erzählers wegen, der eine Dame am Badesee Herrn Faustini als Schriftsteller identifizieren lässt, denn: "von der Blässe her tät's passen, und im Wasser habe ich Sie auch noch nie gesehen."

Die Wahrheit ist, dass dieser Held ein Abenteurer ist, einer nämlich, der das Tägliche noch als Abenteuer begreifen und empfinden kann - so den Friseurbesuch, die Massage der Kopfhaut, die "großen schönen Augen" der Friseurin mit den "Verzauberungshände". Das Resultat des Haarschnitts ist dabei nicht so wichtig, wie das Haareschneiden selbst, fast möchte man da eine Poetik vermuten, das Hölderlin von Jean-Luc Nancy nachgesagte "Desinteresse am Gedicht selbst" angesichts des Dichtens, wofür auch spricht, dass Wolfgang Hermann seine Dissertation just diesem Poeten widmete.

Derlei aber sagt der Autor fast nirgends, dazu ist er zu diskret, er argumentiert ja auch nicht, sondern arbeitet mit Evidenzen, im Positiven wie im Negativen, so, wenn der Zweckbau zur Zweckgegenwart beschrieben wird, "ein giftgrünes Monster von einem Bahnhof [...], auf das man alle paar Meter das Wort Bahnhof schreiben mußte, sonst hätte keiner eine Ahnung, wofür dieses Schreckgespenst gut sein könnte". Es ist, so schwingt da mit, so zu nichts gut, der-ismus am Rationalismus ist irrational ... Rational dagegen sind die kapriziösen Gebrauchsgestörtheiten des Protagonisten, sie gehorchen auch einer Ökonomie: der Wohligkeit und des Menschseins - und welches andere Gesetz soll das Haus, nimmt man die oiko-nomie einmal beim Wort, denn bestimmen?

So zieht Herr Faustini seine Kreise, bis daraus, wie es das Schicksal will, eine Bahn geraten soll. Dieser stringent Hilflose soll zum runden Geburtstag seiner Schwester, die aber in südliche Gefilde zog und nun dort verheiratet ist. Eine Reise aber ist kein Flanieren, die Geschenkauswahl unter Zeitdruck desgleichen nicht, zumal die Wahl zwischen Schönheitsmittelchen und einem Welsh-Corgy, der "aus nichts als Camembert mit Vanillesauce" besteht, keine leichte zu sein scheint.

All das und mehr wird episodisch, selten geschraubt, meist aber luzide und mit leichter Hand geboten. Dabei aber dem Gebot gehorchend, das schon angedeutet wurde, einem der Stringenz nämlich, kulinarisch ist der Autor nicht: "im Unklaren [...] hatten sie eine große Freudenquelle erkannt" oder "gespürt", doch Hermann scheut das "Anstrengende[n] der Kunst" trotz derlei Anforderungen und Zumutungen seitens des Publikums nicht, der Umstand, dass sich dieses Buch so unangestrengt doch der Anstrengung annimmt, adelt es. Diese Anstrengung ist eine der Gewinnung von "Atemraum", was Intention und dann im Atem der Erzählung Einlösung des Romans gleichermaßen ist.

Atem und Zeit - der Mut, noch "eine Antwort vorzubereiten" -, beides hat und gibt dieser gelungene und beglückende Band.

Herr Faustini verreist

Roman von Wolfgang Hermann

Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 140 Seiten, geb., e 15,40

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