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Melania G. Mazzuccos Erinnerungen an das bewegte Leben der Annemarie Schwarzenbach.

Viele sahen in ihr nur Klaus' elegante Begleiterin, und jemand nannte sie in einem Artikel sogar mit herber Unhöflichkeit eine schreibende Millionärstochter aus der Schweiz, die aus Spielerei oder wahrscheinlich um sich irgendwie interessant zu machen regen Verkehr mit Prominenten pflegte'. Aber Annemarie hatte es nicht nötig, sich interessant zu machen: Sie war es. Und die Schriftsteller interessierten sie leider wirklich. Ihr war, als hätten diese etwas, das sie fürchtete nie zu finden - Erfolg, Sicherheit, Talent, Macht.

Faszinierend

Annemarie Schwarzenbach entstammt einer der seinerzeit reichsten Schweizer Industriellenfamilien und war eine Weggefährtin der Geschwister Klaus und Erika Mann. Sie hat selber geschrieben und fotografiert. Ihr androgynes Äußeres faszinierte Männer wie Frauen und sorgte stets für Aufmerksamkeit. Dennoch blieb sie zeit ihres Lebens eine Fremde. Ihre Familie distanzierte sich von ihr und die Künstler taten dies genauso. Annemarie Schwarzenbach gehörte überall dazu und nirgends und das trieb sie in einen Kampf um Liebe, Geborgenheit und Anerkennung.

Dieser Kampf und die innere Zerrissenheit Annemarie Schwarzenbachs stehen im Zentrum des Romans "Die so Geliebte". Die italienische Schriftstellerin Melania G. Mazzucco nähert sich Annemarie Schwarzenbach in ihrer Biografie von der emotionalen Seite und verknüpft ihre Interpretationen mit Fakten, deren Recherche mühsam und aufwändig gewesen sein dürfte. Sie zitiert Journalisten, Dichter und Schriftsteller, die sich einst zu Annemarie Schwarzenbach äußerten, verarbeitet ihr literarisches Werk und bewertet auch den historischen Kontext neu.

Annemarie Schwarzenbach hat legendäre Reisen unternommen und an Orten gelebt, über die damals wenig bekannt war. Ihre Eindrücke hat sie in zahlreichen Reportagen und literarischen Erzählungen verarbeitet, die in den letzten fünfzehn Jahren zum Teil wieder aufgelegt wurden.

Was diese Geschichten allerdings noch widerspiegeln, ist eine Weltabgewandtheit, die ihr bis zum heutigen Tag Vorwürfe einbringt. Europa befand sich im Krieg. Viele Freunde von Annemarie Schwarzenbach wurden von den Nazis verfolgt und sie träumte davon, zu reisen und romantische Geschichten zu schreiben, frei von Politik.

Mazzucco bewertet das politische Desinteresse von Annemarie Schwarzenbach in ihrer Biografie nicht, sondern zeigt, wie sehr Politik ihr Leben letztendlich sogar bestimmt hat. Der Zwiespalt, in dem sich die Schweizer Millionärstochter befand, wuchs durch die Machtergreifung Hitlers nämlich. Ihre Familie war dem Nationalsozialismus freundlich gesonnen und das entfernte Annemarie Schwarzenbach von ihren Freunden. Sie selbst verachtete die Nazis mindestens genauso wie ihre Freunde dies taten und das entfernte sie von ihrer Familie.

Wie groß die Faszination Mazzuccos für Annemarie Schwarzenbachs ist, lässt sich nicht nur an der Intensität dieses ungewöhnlichen Porträts erkennen. In den letzten beiden Kapiteln verlässt Mazzucco die Ebene des Romans. Sie verwischt das Ende der Geschichte und führt den Leser zurück in die Gegenwart, um das unterzubringen, wofür im Roman der Platz fehlte. Sie erzählt von den persönlichen Erfahrungen, die sie im Rahmen ihrer Recherche sammelte, beschreibt die Fotos, die sie in Schweizer Archiven gesichtet hat, berichtet von ihren Begegnungen mit Menschen, die sie zu Annemarie Schwarzenbach befragte und interpretiert auch das schwierige Mutter-Tochter-Verhältnis.

Wie ihre Tochter verehrte Renée Schwarzenbach Frauen. Die Geschichte der Mutter hat sich im Leben von Annemarie Schwarzenbach wiederholt - mit dem Unterschied, dass die Tochter sich den gesellschaftlichen Normen nicht gebeugt hat. Mazzucco ist davon überzeugt, dass Renée Schwarzenbach es war, die die Tagebücher und Notizen ihrer Tochter nach deren Tod verbrannt hat.

Überzeugend spekuliert

Annemarie Schwarzenbach starb 1942 im Alter von 34 Jahren an den Folgen einer schweren Kopfverletzung, die sie sich bei einem Fahrradsturz im Engadin zugezogen hat. Viele Fragen um Annemarie Schwarzenbach können deshalb heute nur spekulativ beantwortet werden, doch Mazzuccos Spekulationen überzeugen.

Wer heute im Internet die Homepage von Sils sucht, jenem Ort im Engadin, in dem Annemarie Schwarzenbach ein Haus gekauft hat und wo sie gestorben ist, stößt nur auf die Namen Hermann Hesse und Friedrich Nietzsche. Nach Annemarie Schwarzenbach sucht man vergebens.

Die so Geliebte

Roman um Annemarie Schwarzenbach

Von Melania G. Mazzucco

Aus dem Italienischen von Gesa Schröder

Piper Verlag, München 2003

541 Seiten, geb., e 24,60

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