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Ein Mann namens Zwetschkenbaum

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DAS GROSSE PROTOKOLL GEGEN ZWETSCHKENBAUM. Von Albert D r e h. Lengen- Müller-Verlag, München/Wlen, 1964. 287 Selten. Freie 13 S.

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DAS GROSSE PROTOKOLL GEGEN ZWETSCHKENBAUM. Von Albert D r e h. Lengen- Müller-Verlag, München/Wlen, 1964. 287 Selten. Freie 13 S.

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Ein deutscher Verlag hat einen österreichischen Dichter entdeckt. Gesammelte Werke — erster Band: die Geschichte eines kleinen galizischen Juden im Österreich nach dem ersten Weltkrieg. Es beginnt unter einem Zwetschkenbaum: Schmul Leib Zwetschkenbaum wird wegen Vagabondage und vermeintlichen Diebstahls festgenommen. So beginnt der Leidensweg des passiven, geistig schwerfälligen, in seiner eigenen Welt lebenden Juden. Vom Gefängnis ins Irrenhaus, über die Felder, durch die Dörfer, von einer wohlmeinenden Familie, die es nur auf sein aus einer langhin geheimnisvollen Quelle fließendes Geld abgesehen hat, zur nächsten. In Wien findet er ein kurzes Glück: Freunde verheiraten ihn und machen ihm einen kleinen Laden auf. Aber sein kleines Glück soll nicht lange währen: die Waren waren gestohlen. Wieder flieht er, wieder wird er verhaftet. Seine Geschichte endet unter dem nämlichen Zwetschkenbaum.

Eine Mischung von Jiddisch und österreichischem Kanzleideutsch gibt seiner Sprache eine eigenartige und ungewöhnliche Note: „In dem sehr zweifelhaften Schatten eines sogenannten Zwetschkenbaumes saß ein Mann, der hieß auch Zwetschkenbaum, aber er war es nicht. Diese Familienbezeichnung gibt nämlich allerdings einen guten Namen für die damit gemeinte Pflanze mit verholztem Stengel oder Stamm ab Dagegen hält man erwähnten Namen für schlecht, wenn er einen Menschen betrifft, und der Verruf, in dem er steht, hat seine Begründung darin, daß er häufig von einer Species Kreatur (Gattung Lebewesen) für sich in Anspruch genommen wird, die man gemeinhin Juden nennt . . . Zwetschkenbaum meinte warum sträubte sich das jüdische Volk? Es werde geschlagen, aber nicht wie ein Kind, um erzogen zu werden (wörtlich: zu werden besser), und herumgestoßen mit dem Fuß und müsse gebückt am Boden kriechen und wisse nicht warum, und niemand nehme sich seiner an Ein Judenbuckel sei krumm, daß ihm werde aufgeladen, was einer (offenbar ein anderer) habe angestellt oder schuldig sei.”

Albert Drach benützt die in der Literatur recht ungewöhnliche Protokollform. In minuziöser Detailmalerei rollt er vor dem Leser dietra- gisch-komische Geschichte des in die Mühlen der Behörden geratenen kleinen Träumens auf. Mit treffsicherer Charakterisierungskunst stellt er ihm die verschiedensten Typen dieser Zeit, die verschiedensten Einstellungen zum Judentum gegenüber „Ein Jude sei auch ein Mensch, eine Erklärung, die übrigens, in den Plural übertragen, in viel späterer Zeit an der Schwelle eines neuen Weltkrieges durch ein Spruchband auf öffentlichem Platze dahin ergänzt wurde, daß Wanzen auch Tiere wären.” — Die dunklen Jahre kündigen sich an.

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