Eine Art lebendiger Tod

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Kriege zerstören die Menschen vor allem auch im Inneren -in ihrem Schatten wuchern aber die Geschäfte.

Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Diese Definition des preußischen Generals Carl von Clausewitz hat das westliche Denken über Krieg wesentlich bestimmt. Bis heute gilt Krieg als legitimes Mittel. Das spiegelt sich auch in unserer Sprache - etwa wenn wir Kollateralschäden sagen, statt von getöteten Männern, Frauen und Kindern zu sprechen.

In ihrem Buch "Leben mit dem Krieg" zeigt die amerikanische Medizinanthropologin Carolyn Nordstrom die andere, die reale Seite des Krieges - wie er Leben auf schier unbeschreibliche und vielfältige Weise zerstört und zugleich am Leben hält. Den Krieg beschreibt Nordstrom als Gewalt, die Leben kaputt macht um neues, kaputtes Leben zu erschaffen. Oder, wie es ein Mann aus Angola formuliert hat, der Jahre des Krieges durchlebt hat: "Krieg", so sagte er, "ist eine Art lebendiger Tod."

100 Millionen Tote

Nordstrom stellt eine Zahl an den Anfang ihrer Untersuchung: Allein im 20. Jahrhundert haben über 250 formell erklärte Kriege mehr als 100 Millionen Menschen das Leben gekostet. Was aber bedeutet diese Zahl? Sie ist so groß, so abstrakt ... Diese Zahl steht für Einzelschicksale, für zerstörte Leben, für verlorene Hoffnung. Nordstrom lässt Menschen zu Wort kommen, lässt Menschen vor dem Auge des Lesers erscheinen, die im Krieg leben - so wie wir in einer Überflussgesellschaft leben. Ganz normal, alltäglich. Gewalt ist dort so selbstverständlich wie der Ärger über ein leeres Regal bei uns.

Nordstrom hat mehrere Jahre in verschiedenen Kriegsgebieten der Welt verbracht und ihre Erfahrungen, ihre Erlebnisse in einem ungewöhnlichen Buch verarbeitet. Sie vermischt soziologische Reflexionen mit alltäglichen Beschreibungen, mit Gesprächsnotizen und Erinnerungen. Auf diese Weise entsteht ein anderes, ein reales Bild des Krieges - das auch das Leben in der Zerstörung findet, die zeigt, was die Zerstörung aus dem Leben der Menschen macht.

Das Verheerende am Krieg ist weniger seine physische Gewalt, die tötet, verwundet oder entstellt, so das Fazit Nordstroms. Das Verheerende am Krieg ist, dass er den Menschen von innen zerstört. "Wir haben Angst vor dem, was der Krieg aus uns gemacht hat, wir fürchten, unsere Menschlichkeit zu verlieren, wir fürchten uns vor dem, was aus Menschen im Krieg werden kann", erklärt ihr ein Mann, der jahrelang an der Front irgendeines Krieges gekämpft hat.

Wenn Gewalt normal ist

Das Paradigma dieser Entmenschlichung findet Nordstrom in dem, was sie Schattenwirtschaft des Kriegs nennt. Und zwar nicht so sehr darum, weil die Menschen hier Verzweiflung des anderen ausnutzen, aus ihr Profit schlagen, sondern weil die Brutalität dieser Schattenwelt für die Menschen zur gesellschaftlichen Norm wird. Wie bei dem kleinen angolanischen Jungen, der ihr erzählt, dass er für die Zigaretten, die er verkauft, mit seinem Leben haftet. Auf die Frage, was denn sei, wenn ihm die Zigaretten gestohlen würden, antwortete er: "Dann kann das Leben schnell zu Ende sein, wie im Krieg."

Carolyn Nordstrom hat ein Buch über den Krieg geschrieben, das verstört und betroffen macht, da es die Ursache in uns selber findet: "Wenn die Menschen glauben, Gewalt sei normal, dann ist das eine der schlimmsten Formen von Gewalt." Dieser Glaube erst macht die realen Formen der Gewalt überhaupt möglich - egal ob sie in Afrika, im Irak oder am 11. September geschehen.

Leben mit dem Krieg

Menschen, Gewalt und Geschäfte jenseits der Front

Von Carolyn Nordstrom

Campus Verlag, Frankfurt 2005

340 Seiten, geb., e 25,60

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