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Wo ist der neue Clausewitz?

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Eigenartig mag es anmuten, von der Philosophie die Uberwindung des Krieges zu erwarten. Und doch ist der Krieg wesentlich ein Philosophicum! Wenn der Mensch zerstört, und im Krieg wird die Zerstörung bewußt in Kooperation potenziert — dazu kommt das Spiel mit den Mächten des Irrationalen im Menschen und in den kollektiven Massenvorgängen —, dann tut er es als historisch gestaltendes Wesen. Es bleibt zunächst gleichgültig, wie hier Historie und Geschichtsprozeß näher erklärt werden und damit der Mensch. Factum ist, der Mensch verfolgt mit dem „Unsinn“ der von ihm gemachten Zerstörung Ziele.

Carl von Clausewitz, der bis heute unübertroffene Philosoph des modernen Krieges, auch wenn er eine Strategie des Krieges verfaßt hat, meinte mehr mit seinem gängigen Schlagwort vom Krieg als einer Politik, nur mit anderen Mitteln — er deutete den Krieg „als Instrument der Politik“ (Carl v. Clausewitz, Vom Kriege, VIII, 6 B, Bonn 1973, 990). Nach ihm nimmt also der Krieg die Wesensart der Politik an, im „Akt der Gewalt“, in der Ausübung des Zwanges sieht er den Krieg nicht wesentlich von Politik unterschieden. Clausewitz kennt verschiedene Stärken von Bereitschaft, im Krieg zu agieren, und läßt dies auch in seine Strategien und seine Beurteilung der Erfolgschancen eines Krieges einfließen. So hängt die Stärke im Krieg selbst vom Motiv und den

Zielen des Krieges ab, die aber immer von der Politik vorgegeben sind. Für ihn ist richtigerweise auch die- Drohung schon mit dem Krieg ein Mittel des Krieges und damit Mittel einer Politik, die den Krieg miteinschließt. Politik ist freilich bei Clausewitz ein sehr komplexer Begriff, der in der wissenschaftlichen Diskussion noch nicht geklärt erscheint und auch hier nur den Leser von heute stimulieren soll, nach vordergründigem Verständnis seine Überlegungen anzustellen.

Auch heute ist der gegenwärtig propagierte Prozeß der Entspannung zwar ein gewisser gradueller Fortschritt im Vergleich zum sogenannten Kalten Krieg oder Kalten Frieden. Der Krieg wird aber letztlich erst durch eine qualitative Änderung von Theorie und Praxis der Politik und der dieselbe rechtfertigenden Philosophie überwunden werden. Erst die Ausschaltung der Gewalt und des Zwanges aus der Politik könnte diese Änderung herbeiführen.

Eine Frage entsteht aber sofort: Gibt es überhaupt gewaltfreie Politik? Wenn wir Politik mit Aristoteles als höchste Kunst der Gemeinwohlsorge definieren, damit aber das allgemeine Wohl des Volkes und, international, der Menschheit voranstellen als Ziel, dann hängt es davon ab, ob es gelingt, solche Ziele des Gemeinwohls rechtens außer Streit zu stellen, oder unter die Sanktion der politischen Gewalt nach den Normen des Rechts und des Gemeinwohls, also des rechtlichen und sozialen Friedens von Mensch und Gemeinschaft. Denn staatliches Leben und Politik ohne jede Ordnungs-Gewalt wäre die Hoffnung auf das Gelingen anarchischer politischer Gemeinschaften.

Solange es darüber aber — nennen wir diese Summe einfach mit der inhaltlich gemeinten Formel „Frieden“ — also über den Frieden fundamental verschiedene philosophische humanistische Ideen gibt, ist eine Qualitätsänderung der Politik von der Gewalt zur Überzeugung, von der Bedrohtheit zur Sicherheit des Humanums nicht zu erwarten. Hier stehen wir vor der Aporie der gesellschaftsmächtigen Humanismen, daß sie zugleich kriegsträchtig sind, und sei es ihrer jeweiligen Meinung nach nur zur Verteidigung humaner Grundwerte.

In dieser aporetischen Situation sagt nun wieder der Stratege (Jehuda L. Wallach, in seinem ausgezeichneten Werk: Kriegstheorien, Frankfurt a. M. 1972, 388 f), die Menschheit stehe heute am „Scheideweg“, denn auch die Politik der Abschrek-kung (und der Bereitschaft zu begrenzten Kriegen) führe letztlich zwangsläufig wieder in den Krieg. Es gebe nur die Alternative: Abschaffung der Kriegsmittel oder totale Vernichtung. Der Krieg dürfe heute kein Mittel der Politik mehr sein, er ist es aber nach wie vor. Der mangelnden umfassenden Entscheidung der Menschheit gegen den Krieg steht daher auch eine gigantische Gerüstetheit zum Krieg gegenüber. Die Bereitschaft zum Frieden ist nur partiell, innerhalb wirksamer philosophischer, also weltanschaulicher Systeme effizient.

Man mag über die Tragweite und innere Wahrheit des äußeren Bekenntnisses der Staaten, ihrer Politiker und der Völker, die hinter den Worten des Abkommens von Helsinki steht, verschieden denken und realistisch kalkulieren. Nur wenn es gelingt, die Idee der friedlichen Koexistenz von Staaten und Weltanschauungen — insoferne sie den Krieg als politisches Mtitel legitimieren! — zu erreichen, ist der Ausweg aus der Aporie gefunden. Die Ablehnung eines Appease-ments im geistigen Bereich, der Wettkampf der Weltanschauungen um Wahrheit hingegen ist keine Kriegsgefahr dann mehr, wenn sich die Fundamente der

Politik gewandelt haben. Es bleibt nur die Frage, ob das Legitimationsproblem der Gewalt, die als Ordnungsgewalt für Gemeinwohl-Politik unentbehrlich ist, gemeinsam gelingt, ohne die friedliche Koexistenz zu verunsichern, ohne aber auch die Weltanschauungen in die Gefahr des billigen Indifferentismus zu bringen vor dem „Gegner“, der politisch zum Partner geworden ist, gegen den es das Mittel des Krieges nicht mehr gibt.

Hier sei eben die Frage gestattet: Wenn der Marxismus immer noch von Weltrevolution und Diktatur des Proletariats spricht, ist dies eine in der Wirkung friedliche Kategorie und verträgt sie sich mit Politik, die auf kriegerische Gewalt verzichtet? Anderseits, kann nicht die Freiheit und freie Menschenwürde nach der Idee des westlichen demokratischen Pluralismus vom politischen Koexistenzpartner und weltanschaulichen Kontrahenten im philosophischen Grund menschlicher Existenz so bedroht gedacht werden, daß man sich im letzten Fall auch zur kriegerischen Verteidigung legitimiert weiß?

Vorläufig dürften wir noch mit der Aporie leben müssen, daß die friedliche Koexistenz noch nicht abgedeckt erscheint von einem politisch wirksamen und philosophisch gesicherten Konsens. Die Theorie müßte aber bald die versuchte Praxis einholen, soll die Praxis nicht faul werden, se' es, daß sie für eine Seite vor allem arbeitet, sei es, daß sie als Schein dem Krieg wieder weichen muß. Wo ist der neue Clausewitz für eine Strategie der Politik im Atombombenzeitalter?

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