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Game over auf der Trauminsel

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Bangkok ist Ziel der massenhaft einfliegenden Pauschalreisenden geworden, auch die Rucksacktouristen benutzen es als Basis auf der Suche nach dem unberührten paradiesischen Fleck, der den ultimativen Kick beschert. Der junge Engländer Richard in Alex Garlands aufregendem Debütroman „Der Strand” ist einer von diesen Suchern abseits der ausgetrampelten Pfade. Im Kopf hat er die für seine Generation typischen Träume von Freiheit und Abenteuer, die Vietnamfilme von Coppola über Kubrick und Stone bis Zito, die kriegerischen Videogames, kurz: den Überbau aus einer Mischung von Super Mario und Nam, untermalt von den Doors, manipula-ted by Nintendo and Marlboro.

In seiner Absteige in Bangkok wird Richard, eine geheime Trauminsel halluzinierend, nachts von seinem Zimmernachbarn aufgeschreckt, der von einem „verdammten Strand” erzählt und ihm am nächsten Morgen die Kartenskizze einer Insel an die Tür heftet; ein Kreuz markiert „den Strand”. Richard will Details wissen, betritt das Zimmer des rätselhaften Nachbarn und findet dessen laiche mit aufgeschlitzten Adern.

Diese Warnung erhöht nur den Thrill. Zusammen mit dem französischen Pärchen Etienne und Francoise, die auch Gerüchte über den sagenhaften Strand gehört haben, findet Richard heraus, daß sich die Insel in einem für Touristen gesperrten Naturschutzgebiet befindet. Der Trip kann losgehen, zuerst mit Zug und Bus, dann mit einem bestochenen Fischer auf eine benachbarte Insel (längst vom Sandalentourismus verdorben), zuletzt schwimmend hinüber auf das geheimnisvolle Eiland. Es entpuppt sich als Marihuana-Pflanzung thailändischer Drogenbosse, Betreten ist lebensgefährlich. Dennoch schlagen sich die drei zum Strand durch, der sich als der ersehnte Traum erweist: Ein Grüppchen Eingeweihter ist schon dort, einige Alt-68er, vorwiegend aber Jungvolk der „Next Generation”: SommerSon-neSand, Korallen, Tauchen und Rauchen (geklautes Marihuana), adieu Welt. Wie kaum anders zu erwarten, kippt die Idylle, das Paradies verwandelt sich in eine Hölle, die jungen Leute drehen unmerklich durch, im Garten Eden findet eine gespenstische Apokalypse statt. Garland verdichtet die halluzinatorische Atmosphäre zum furiosen Finale. Wenn die Maschinengewehre rattern, steigert sich Garlands Prosa in ein tödliches Stakkato: this is the end.

Garland entlarvt auf einen Streich touristische Pseudoromantik, hirnlose Aussteigerphantasien und die von Hollywood und Microsoft beherrschte Wahrnehmung der Welt, in der das Irreale längst im Kostüm des Authentischen auftritt. Das Leben ist kein Simulationsspiel. Aber „Der Strand” ist ein Computerspiel in Prosa, mit allen Tricks und Finten ausgeheckt.

Garland ist freilich kein naiver Erzähler. Im Gegensatz zu seinen Helden hat er nicht nur Vietnam und Videos im Kopf. Er weiß, ein Abenteuerroman läßt sich nicht mehr erzählen wie zu Stevensons oder Ballantynes Korallen-Schatz-Insel-Zeiten, von Defoes und Vernes Insulanern ganz zu schweigen; seither hat es auch Gol-dings „Herr der Fliegen” gegeben und Huxleys „Insel” und Conrads „Herz der Finsternis”. Sie alle, Conrads Horror zumal, sind bei Garland unterschwellig da. Dennoch gehört er nicht zu den postmodernen Zitaten-onkeln. „Der Strand” ist ein perfekter Abenteuerroman auf der Höhe unserer Zeit, der beste Aussichten hat, zur Sensation der Saison zu werden. Wie heißt es am Ende des Computerspiels? Game over. Darauf der Spieler: Enter new game. So bginnt virtuelle Unsterblichkeit. Garland soll seinen nächsten Roman, der auf den Philippinen spielen wird, beinahe fertig haben. Wir warten mit Spannung.

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