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Gefährliche Erinnerung

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Was rauskommt, wenn man sich auf die Suche nach Wahrheit begibt.

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Was rauskommt, wenn man sich auf die Suche nach Wahrheit begibt.

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Das ganze Unheil Konrads nahm seinen Lauf mit einem einzigen Satz: „Ihr könnt bei mir bescheißen, soviel ihr wollt, aber wenn ich euch erwische, fliegt ihr aus der Schule“. So hatte einst sein Religionslehrer Brandstätter, ein angesehener Priester und Philosoph, vom Katheder gedroht, und Konrad hat sich erwischen lassen. Jahre später bittet man Konrad, mittlerweile Journalist und Schriftsteller, für das Jubiläumsbuch der örtlichen Tageszeitung um einen Artikel über den inzwischen verstorbenen, als steinernes Denkmal in der Stadt thronenden „Wahrheitsfanatiker“ Brandstätter. Für Konrad eine gute Gelegenheit,, das Denkmal vom Podest zu stürzen.

Das ist die Ausgangslage in Otto Marchis neuem Roman über das Dickicht der lokalen Machtverhältnisse (im ungenannten Luzern) zwischen Kirche, Rathaus, Schule und Friedhof. Der Detektiv Konrad kommt einem „prächtigen“ Skandal auf die Schliche: Das hehre Denkmal hat selber Dreck am Sockel. Brandstätter, scheinbar stets gegen Lug und Trug gefeit, hatte eine Schwachstelle, sprich ein heimliches Liebesverhältnis zu der hexenhaft-irrläufem- den Elisabeth (hier verarbeitet Marchi Werke der Künstlerin Annemarie von Matt).

Die klandestine Liebesgeschichte jenseits von Tabu und Norm interessiert Konrad schließlich viel mehr als die journalistische Krachnummer eines fetten Skandals. Der Roman endet mit einer perfiden Pointe, von der nur verraten sei: Das Pfarrersdenkmal erweist sich als steinerner Ausdruck eines triumphalen Hohngelächters, das sich über die Stadt und - mit dem Einstimmen Kpnrads - auch über die Leser ergießt.

Marchi ist ein sehr spannender und intelligenter Roman über die scheinheiligen Täuschungsmanöver der Erinnerung gelungen. Die vielbeschworene „atmosphärische Dichte“ erzeugt Marchi mühelos mit Gerüchen und Geräuschen, mit der Überblendung verschiedener Zeitebenen im „Kopfkino“ sowie in Kneipen- und Restaurantszenen, wie in der fabelhaften Episode in einem Wiener Cafehaus, bei der man am liebsten ins nächste Beisei rennen möchte. In dem Fall nehme man den Roman mit und lese bei einem Glas Beaujolais weiter, den Konrad so liebt.

SOVIEL IHR WOLLT

Von Otto Marchi Verlag Nagel & Kimche, Zürich 1994.

228 Seiten, ö S 299,-.

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