Geheimnisvoller Kreuzgang

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Spannend. Scharfsinnig. Rätselhaft. Und doch kein Krimi. Der mittelalterliche Kreuzgang nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Es war zu Beginn des 9. Jahrhunderts, als der Kreuzgang in Form der geschlossenen Vierflügelanlage sich im weitläufigen karolingischen Reich verstärkt zu verbreiten begann. Man denke nur an Klosteranlagen wie Müstair in der Schweiz, Lorsch oder Hersfeld in Deutschland. Das plötzliche Auftreten dieses Bautypus sei in engem Zusammenhang mit der mönchsgeschichtlichen Entwicklung zu sehen. Form und Funktion bedingen einander. So lautet zumindest eine Seite der wissenschaftlichen Stellungnahmen.

Vorgefundene Strukturen?

Die andere opponiert und plädiert für die Übernahme des Kreuzgangs aus vorgefundenen funktionalen Strukturen (wie der aufgelassener römischer Villen oder Gehöfte). Sehr symptomatisch ist diese Kontroverse bezüglich der Genese des mittelalterlichen Kreuzgangs für die so genannte "Kreuzgang-Forschung" im allgemeinen.

Einen umfassenden Einblick in diese komplexe Thematik bietet nun die Zusammenführung von Beiträgen eines einschlägigen internationalen Symposiums, dessen Ziel es war, methodische Neuansätze in den Vordergrund zu stellen.

Da die Forschung lange Zeit auf formal- und stilgeschichtliche Fragestellungen, sowie auf eine einseitige ikonografische Ausrichtung reduziert war, blieb der Zugang zu vielen Facetten und Zusammenhängen dieses konstituierenden Bestandteils der mittelalterlichen Kathedral- und Klosteranlagen schlichtweg versperrt. Mit Hilfe der jüngeren Ansätze, die verstärkt die Funktion nicht nur des Bautypus, sondern auch der Bildprogramme hinterfragen, konnten jedoch wesentliche neue Kenntnisse gewonnen werden. So gibt die Frage nach den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Kreuzgangs Anlass zu zahlreichen Auslegungen: Wie abgeschlossen gegen die säkulare Welt war der Kreuzgang wirklich, bedenkt man die Tatsache, dass er auch Ort öffentlicher Gerichtsbarkeit war? Wie soll der Vergleich gewertet werden, der die bauliche Form des Kreuzgangs in die Nähe von "totalen Institutionen" (wie Kasernen und Gefängnissen) bringt und somit auch die Kontroll- und Organisationsprinzipien solcher Gebäude in Parallele stellt? Bei all diesen Fragen wird vermehrt die Lage des Kreuzgangs innerhalb des gesamten Klosterkomplexes beachtet, und die Rolle, die Klöster im öffentlichen Alltag einer Stadt spielten, berücksichtigt.

Welt der Orden

Besonders die Analysen der bildhaften Programme in den Kreuzgängen, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer funktionalen Verwendung gelesen werden, geben tiefe Einsichten in das mönchische Leben und vermitteln Verständnis für Abläufe und Richtlinien, die die Welt der unterschiedlichen Orden prägen. Eindrucksvoll legt zum Beispiel ein Beitrag über die skulpturale Ausstattung des Kreuzgangs im Benediktinerkloster von Moissac nahe, wie eng die auffallend isoliert stehenden Szenen der Kapitelle mit zeitgenössischen Praktiken der mündlichen Überlieferung zusammenhängen und zusätzlich für die Mönche wichtige memotechnische Anhaltspunkte darstellten.

Generell werden bildliche Darstellungen ab dem 12. Jahrhundert bewusst didaktisch zum Betrachter plaziert. Ebenso die Zisterzienser, die zumindest ab dem 13. Jahrhundert dem Bildschmuck nicht abgeneigt waren. Auch wenn kein umfassendes Programm festzustellen ist, finden sich eindeutige Darstellungen mit moralisierenden Tendenzen, die vor allem der bizarren Tier- und Pflanzenwelt des Physiologus (einer für das Mittelalter maßgebenden Sammlung von Naturbeschreibungen mit heilsgeschichtlicher Auslegung) entlehnt sind.

Obwohl die Kreuzgang-Forschung auf Grund der innovativen Methodik Fortschritte verbuchen kann, muss, und zumindest in diesem Punkt sind sich die Wissenschafter einig, noch viel geleistet werden. Die schwierigste Herausforderung ist, die Schere zu überwinden, einerseits überregionale Entwicklungen herauszuschälen, andererseits lokale Eigenheiten umfassend zu analysieren. Doch kurzum, was in dem Band "der mittelalterliche Kreuzgang" geboten wird, ist nicht nur spannend für die Fachwelt, sondern für alle Kunst- und Kulturinteressierten.

Der mittelalterliche Kreuzgang

The medieval Cloisters, Le Cloitre du Moyen Age

Architektur, Funktion und Programm

In engl., französ. u. dt. Sprache

Hg. von Peter K. Klein

Schnell & Steiner, Regensburg 2004

408 S. m. Abb., geb., e 61,60

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