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Geschichte im Scheinwerfer

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Rene Grousset, Professor an der Sorbonne und Mitglied der Academie Francaise, steht heute in der vordersten Reihe der französischen Historiker. Dieses sehr lesenswerte Buch scheint zunächst nichts anderes zu tun, als den Gang der Weltgeschichte noch einmal zu berichten. Wie es. dies tut, macht seine Einmaligkeit aus: es stellt die west-östliche Verzahnung des Weltgeschehens dar, und man muß zugeben, daß heute, da die Welt von den west-östlichen Auseinandersetzungen bis zum Rande des Chaos dröhnt, just die Stunde gekommen ist, um unsere Schulbücherweisheit einer gründlichen Revision zu unterziehen, Der Standpunkt des Autors ist ein endzeitlicher. .Die Schrift an der Wand ist, wie in der Bibel, bereits geschrieben. Lesen wir sie, so lange noch Zeit ist. Es geht um den Bestand des Menschengeschlechtes.“ Aus dieser apokalyptischen Gewißheit zieht Grousset seine Bilanz der Geschichte, indem er die Frage stellt: Wo liegen die im Laufe der Weltgeschichte sichtbar gewordenen Werte, die noch Kräfte einer Rettung der Welt verheißen? Er fragt nach einer Bilanz der ewigen Werte, die besonders den Beitrag Ostasiens für den Humanismus von morgen bilden müßten. Die kostbarsten Schätze sieht der Verfasser im Erbe des antiken Griechenland, im Christentum, dann in der indischen Spekulation und im „großen kosmischen Traum der alten chinesischen Maler des zehnten bis vierzehnten Jahrhunderts'. Dies seien immer noch lebendige geistige Kräfte, die uns helfen könnten, .aus der blutigen Sackgasse, in der sich die heutige Menschheit zugrunde richtet, herauszukommen“. Er rechnet dem «germanischen Schicksal“ vor, daß es sein Gesetz darin zu erblicken habe, „daß jeder Ansturm der Germanen auf das Erbe der La-tinität von Jahrtausend zu Jahrtausend nur damit endet, die Hälfte germanischen Bodens dem Slawentum auszuliefern'. Das stimmt für die Lage um 300 n. Chr., da sich die Germanen nach Osten bis zur Krim vorgelagert hatten, und erschüttert muß man feststellen, daß Deutschland im Jahre 1945 wieder dorthin zurückwich, wohin es um 600 n. Chr. am Ende der großen Invasionen zurückweichen mußte: an die Elbe und an die Saale. Da Hitler, wie Grousset meint, dem Germanentum seine ursprüngliche Position zurückgewinnen will, weil er wieder, wie einst in der Völkerwanderung, bis zu den Pyrenäen und bis Tunis vorzustoßen gedenkt, erreicht er nur, daß die Slawen bis ans Elbebecken zurückkehren. Denn nach des Verfassers Oberzeugung kehrt der Slawe immer wieder zurück. Das ist wahrhaft Geschichte im Scheinwerfer von heute und morgen, durchdrungen von der Tragik alles geschichtlichen Geschehens und — von der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit alles Geschehens, wenn dieses nicht nach Pascals Vorgang einer christlichen Sinndeutung unterworfen wird.

Die Grundhaltung des Buches ist ein moderner christlicher Humanismus, der mit hoher Achtung von den östlichen Kulturleistungen der Menschheit spricht. Das Buch schließt nicht ohne Sinn mit Worten des Gedenkens an den französischen Orientalisten und Kunsthistoriker Joseph Hackin. Hackin lehrte und lebte einen buddhistischen Humanismus wie vor ihm schon Sylvain Levi. Hier erkennt man die Schule, aus der sich die vergleichende Geschichtswissenschaft, für deren sehr bedeutsame Aufschlüsse jede Seite dieses Buches zeugt, entwickelt hat. Es ist die vergleichende Kunstgeschichte von Joseph Hackin und die vergleichende Philosophie von Masson-Ouruls. Wer diese Ursprünge der Darstellung Groussets kennt, wird über die höchste Aufschlüsse vermittelnden Abschnitte (etwa über chinesischen Humanismus oder über den indischen Idealismus) beglückt, aber nicht verwundert sein. Freilich läßt uns jede Seite dieses meisterhaften, für jeden gebildeten Leser ohne weitere Vorkenntnisse verständlichen Buches erschauern: vor der dunklen Größe und dem Verhängnis, dem nicht nur das Schicksal der geschichtlichen Persönlichkeit, sondern ganzer Kulturkreise immer wieder ausgeliefert ist.

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