Grenzüberschreitungen

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Abraham B. Jehoschuas Roman über seine zerrissene Heimat Israel.

Ein jüdischer Universitätsprofessor, der Algerien erforscht. Seine Frau, die Richterin, berühmt für ihre Verhörtechniken - nicht nur in beruflicher Hinsicht. Der Sohn, dessen glückliche Ehe auf sonderbare Weise nach einem Jahr plötzlich beendet ist. Eine arabische Studentin mit vorgetäuschter Schwangerschaft, die mit Tricks zu ihrem Studienabschluss kommen möchte. Das sind nur einige der handelnden Personen, die Abraham B. Jehoschuas Roman "Die befreite Braut" beleben. Teil jenes Mit- und Nebeneinanders von Menschen, die sich diesen Flecken der Landkarte teilen (müssen): nämlich Israel.

Der Professor für Orientalistik versucht nicht nur dem Geheimnis des arabischen Wesens nachzuspüren - wobei er Verachtung ebenso vermeiden sollte wie Romantik -, sondern meint auch noch unbedingt dem Geheimnis seines Sohnes nachspüren zu müssen. Jenem mysteriösen Grund, der für das plötzliche Ende der jungen Ehe gesorgt hat. Er kann die Vergangenheit nicht ruhen lassen.

Was thematisch schwer anmutet, muss nicht schwer erzählt werden. Jehoschuas Erzählton ist über weite Strecken sogar ironisch, so etwa die Schilderung der Abhängigkeit des Professors von seiner Frau, der Richterin, sein Eingespanntwerden in die Familienbande. Vieles weiß der Herr Professor nicht, der mehr in der Vergangenheit und in einem anderen Land (dessen Erforschung allerdings durchaus aufschlussreich sein könnte für die Situation im eigenen Land) zu schweben scheint, denn sehenden Auges in der Gegenwart zu stehen. Unwissend nicht nur in Bezug auf das Geheimnis um den Sohn, das nur langsam - um auch dem Leser über immerhin mehr als 600 Seiten die Spannung zu erhalten - aufgedeckt wird, sondern auch das eigene Land. Kann ich denn wieder nach Israel einreisen, fragt der Professor vorsichtig, als er von dem sympathischen arabisch-israelischen Fahrer Rasched in die (nicht wirklich) autonome Region "verführt" wird, wo er Christen und Muslime in ihrem Alltag erlebt. Der Professor findet sich auf einmal als Pendler zwischen arabischer und jüdischer, zwischen israelischer und nichtisraelischer Welt.

Jehoschuas Romanuniversum verknüpft gekonnt Vergangenheit und Gegenwart, Privates und Kollektives, Psychologisches und Politisches - und Literatur, die von den Orientalisten als Quelle des Verstehens entdeckt wird und nicht zu kurz in den Roman einfließt und ihren Höhepunkt in der Schilderung des Dichterfestes in Ramallah findet, bei dem es ausnahmsweise nicht um Politik, sondern nur um Freundschaft und Liebe gehen soll. Wo aber tatsächlich Kulturaustausch passiert.

Jener Autor, der sich für eine feste Grenze (und den Rückzug aus den besetzten Gebieten) ausgesprochen hat, als einzig gangbaren Weg in dieser hochexplosiven Region, überschreitet in seinem Roman mehrmals die Grenzen, um dann doch wieder den Sohn die Frage an seinen Vater richten zu lassen: "Warum hältst du dich nur für berechtigt, die Grenzen anderer Menschen zu überschreiten?"

Die befreite Braut

Roman von Abraham B. Jehoschua

Aus d. Hebr. v. Ruth Achlama

Piper Verlag, München 2003

670 Seiten, geb. e 25,60

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