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Digital In Arbeit

Gufler kontra Eichmann?

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EIN ÄLTERER HERR MIT AKTENTASCHE und grauen Schläfen, anscheinend gerade auf dem Heimweg von der Arbeit. Ob er bereit ist, sich für unsere Umfrage zur Verfügung zu stellen? Bitte, gern.

„Würden Sie Gufler begnadigen?“

„Begnadigen? San se teppert, Herr?“

„Würden Sie Eichmann begnadigen?“

„No ja … also, das ist so eine Frage … also, das ist schon eine andere Sache … schließlich hat er seine Befehle gehabt!“

„Würden Sie Eichmann begnadigen?"

„Wann S’ mich so direkt fragen — also, ja!“

„WÜRDEN SIE GUFLER BEGNADIGEN?“

Die junge Dame zieht erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. „Aber nein!“

„Würden Sie Eichmann begnadigen?“

„Wissen Sie, davon weiß ich zu wenig. Das war doch irgend so eine politische Sache .. .“

EINE ÄLTERE DAME kommt schräg über die Straße. Sie glaubt nicht ganz an die Umfrage: „Sie wollen mir sicher irgend etwas verkaufen . . . Bücher … Aber ich brauche wirklich nichts…

„Würden Sie Gufler begnadigen?“

Das gutmütig-naive Gesicht bekommt sofort einen harten Zug: „Den begnadigen? Nein, den würde ich höchstpersönlich aufknüpfen, so viel Kraft habe ich noch Diesen Massenmörder, diesen eler, . . . Wie bitte? Eichmann? Was ist mit Eichmann?“

„Ob Sie Eichmann begnadigen würden!“

„Schauen Sie, der Eichmann … der war doch nur sozusagen ein Angestellter vom Hitler. Der konnte doch gar nicht anders. Und selber hat er ja auch keinen umgebracht. Für das Weiter- geben von Befehlen kann man doch keinen bestrafen…"

UNSERE KLEINE UMFRAGE, an einigen Nachmittagen auf Straßen und Plätzen im ersten und sechsten Bezirk von Wien angestellt, hatte einen kleinen.

Schönheitsfehler: Beide Prozesse, der gegen Gufler ebenso wie der gegen Eichmann, sind noch nicht beendet.

Aber wir haben absichtlich nicht gefragt: „Würden Sie Gufler (beziehungsweise Eichmann) begnadigen, wenn er schuldiggesprochen und verurteilt werden sollte?“ Unter anderem war es ja gerade interessant, wievielen Leuten diese juristische Ungereimtheit auffallen würde.

Nur ein einziger Herr mittleren Alters, auf dem Hohen Markt angesprochen, zögerte nach der., ersten Frage und meinte dann:

„Verzeihung, aber das Urteil ist doch noch gar nicht gesprochen — wie können Sie denn schon von Begnadigen sprechen? Auch wenn man sich vom Ausgang des Prozesses vielleicht schon ein Bild machen kann, wirklich als schuldig anzusehen ist Gufler doch erst nach der Verkündung des Urteils. Bis dahin ist er theoretisch als unschuldig anzusehen und bis dahin … bis dahin kann ich ihre Frage nicht beantworten. Tut mir leid!“

Auf die zweite Frage antwortete er dann mit einem klären Ja.

Die zweite Frage lautete in diesem Falle allerdings: „Sind Sie Jurist?“

ABER GANZ ABGESEHEN DAVON, war die Zielrichtung unserer Gespräche nicht juristischer, sondern psychologischer Natur.

Die Antwort auf unsere erste Frage war wohl vorauszusehen: Ein glattes Nein. Und so kam es dann auch.

Nur ein einziger junger Mann sagte auf die Frage: „Würden Sie Gufler begnadigen?“ trocken: „Ja!“

Ebenso wie das Nein auf die erste Frage war auch vorauszusehen, daß ein Teil unserer Befragten bereit sein würde, Eichmann zu begnadigen.

Interessant war der Prozentsatz.

Und interessant waren zum Teil auch die Begründungen, die für dieses „Ja“ auf die zweite Frage gegeben wurden.

HIER EINE MEINUNG, die in verschiedenen Versionen mehrmals Wiederkehrte:

„Würden Sie Gufler begnadigen? „Schaun S’, mich fragen s’ ja Gott sei Dank net, also brauch i mir den Kopf net zerbrechen.“

„Wann i jetzt sagen tät, den Eichmann soll man nicht begnadigen, dann könnt i mich vielleicht noch dafür einsperren lassen, daß i a gschossen hab. Was kann denn i dafür, daß i in an Hinrichtungskommando war? Hat eh kaner gwußt, welche die Platzpatronen haben und wer die scharfe!“

Und hier, kurz zusammengefaßt, das Ergebnis unserer Befragung, die über hundert Personen erfaßte:

Alle interviewten Passanten bis auf zwei würden Gufler nicht begnadigen. Einige, auffallenderweise besonders „Würden Sie Eichmann begnadigen?“ „Das is scho wieder so a Frag. Wie’s der Richter macht, wird’s scho gut sein! Der is gscheiter als i.“

rIN EINFACHER, EBENFALLS ÄLTERER MANN lief dem Frager nach seinem „Ja“ auf die zweite Frage noch einmal nach, zupfte ihn am Rock und meinte:

Gufler-Schlange

„Würden Sie Gufler begnadigen?"

„Gufler? Diesen Verbrecher, diesen Massenmörder, diesen …“

„Würden Sie Eichmann begnadigen?“

„Eichmann? Nun, ich sehe schon, was Sie wollen — sehen Sie, ich war wirklich kein Nazi. Aber das ganze ist doch jetzt fünfzehn Jahre her. Der Eichman muß natürlich seine Strafe haben. Aber stellen Sie sich doch vor, was er in diesen fünfzehn Jahren mit- gemacht hat. Der hat seine , Verbrechen doch schon längst abgebüßt. Und ein normales Leben kann er doch so- wieso nicht mehr führen, jetzt, wo ihn jeder kennt. Er ist doch sowieso geächtet. Ist das nicht genug?“

Drauf haben wir noch eine dritte Frage gestellt: „Sollte man den Gufler in fünfzehn oder zwanzig Jahren wieder freilassen?" •

Heftige Antwort: „Den auf keinen Fall!"

So sprach eine Dame auf dem Stephansplatz in Wien.

Und hier noch einige weitere Antworten auf unsere zweite Frage: „Eichmann ist natürlich schuldig. Aber begnadigen sollte man ihn doch „Eichmann? Den Namen habe ich nie gehört!“

„Eichmann? Schauen Sie, das ist doch jetzt alles wirklich ein bisserl lange her. Und umbracht hat er doch selber keinen . .. seine Strafe muß er natürlich haben. . . vielleicht fünf Jahre, oder zehn …"

„Ja. Schauen Sie, er hat jetzt ohnehin schon so viel mitgemacht „Eichmann ist doch auch nur ein Mensch…"

„Eichmann war nur ein Instrument. Man müßte den Hitler bestrafen, und der lebt nicht mehr . . .“

DIE ORIGINELLE ANTWORT eines älteren Mannes, der in einem Park lustwandelte:

Frauen, kleideten diese Ablehnung in mehr oder weniger drastische Formen.

Rund dreißig Prozent würden Eichmann begnadigen.

Dieser Prozentsatz ergab sich sowohl bei den älteren Leuten als auch bei jungen Menschen um die zwanzig.

VOR ALLEM ABER ERSCHEINT ihnen allen, den älteren Leuten ebenso wie den jungen, der Fall Gufler und die Frage nach seiner Begnadigung viel, viel wichtiger als Eichmann samt all dem Geschehen, das jetzt anläßlich des Prozesses in Jerusalem noch einmal aufgerollt wird.

Was wir mit unserer Umfrage herausfinden wollten und leider einmal mehr bestätigt fanden, brauchen wir nicht näher auszuführen.

Facit: Vergesse« ist anscheinend die üblichste und bequemste Art, zu „bewältige n“.

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