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Gustafssons Rückblick

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Wie erinnert sich ein Schrift-, steller? Und woran? Wie ein Philosoph? (Lars Gustafsson lehrt Philosophie in Austin, Texas.) Was war, im Rückblick, einem Mann wichtig, den, ohne daß er ein politischer Dichter wäre, der Machtmißbrauch eines Olof Palme sehr wohl auf die Palme brachte? Wer es erfahren will, kommt um die Lektüre von Gustafssons „Palast der Erinnerungen” nicht herum. Auch, wer den autobiographischen Betrachtungen langsam in die Jahre kommender Schriftsteller nichts mehr abgewinnen kann, sollte dieses Buch lesen - als ein Stück hochkarätiger Literatur.

Lars Gustafsson, 1936 in Mittelschweden geboren, ist im deutschen Sprachraum kein Unbekannter, zuletzt erschien sein Boman, „Die Sache mit dem Hund”. Wer seinen „Palast der Erinnerungen” betritt, lernt schon auf den ersten Seiten den Philosophen kennen. Der Einstieg mit dem aus der Antike bekannten Rhetorikhandbuch „Ad Herrennium” unterweist den Leser in der Kunst des Erinnerns. Ein imaginärer Palast wird gebaut und mit Versatzstücken aus dem Gedächtnis eingerichtet: Auf diesem Prinzip basiert Gustafssons Buch.

Sein jüngster Sohn ist fünfeinhalb Jahre alt, „hat also ein Alter erreicht, an das ich selbst deutliche Erinnerungen habe” - so leitet er seine Erinnerung an das Schlittschuhlaufen ein, an die Kindheit, die Schulzeit, den Vater, der Staubsaugervertreter war, das Studium in Uppsala. Triviales wird an Besonderes gereiht, Humorvolles an Trauriges, Philosophisches an Psychologisches. Was auf den ersten Blick wie ein ungeordnetes Sammelsurium von Geschichten und Episoden aus dem Leben eines Schriftstellers anmutet, fächert sich immer mehr auf zu einem breiten Spektrum verschiedener Erzählungen, Amüsantem, philosophischen Exkursen. Daß Gustafsson bei der Auswahl seiner Erinnerungen auch an seine Leser im deutschsprachigen Raum gedacht hat, zeigt die deutsche Übersetzung. Dieser hat er auch manche komische Erinnerung an eine Lesereise durch Deutschland beigefügt sowie die Erinnerung an eine historische Begegnung mit Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Boll, Uwe Johnson und Max Frisch.

Sie ist ein Höhepunkt des Buches. Sie zeigt Lars Gustafsson auch in seiner Rolle als moralisch Engagierter -und Schweden nicht gerade als den verläßlichen Hort von Demokratie und Meinungsfreiheit, als den es sich so gerne dargestellt sieht. Die IB-Affäre, auf die sich Gustafsson bezieht, ereignete sich 1973, also lang vor dem Mord an Olof Palme (für den, mit schwerwiegenden Indizien, schwedische Journalisten Stockholmer Polizisten verantwortlich machen). Die Affäre des Informationsbyran (IB), das Spionage gegen Schweden abwehren sollte, wurde, so Gustafsson, mit Wissen Olof Palmes „als eine Art geheime Parteipolizei mißbraucht... unter anderem mit umfassender Gesinnungsschnüffelei und Registrierung von Meinungsgegnern.” Zwei Journalisten, die dies aufdeckten, wurden zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt!

Der Vorfall bedeutete für etliche schwedische Intellektuelle den Verlust eines verbreiteten politischen Vertrauens in den schwedischen Sozialismus. Enzensberger, Johnson und Frisch halfen Gustafsson, den Text, den Boll unterschreiben sollte, zu verbessern: „Heinrich Boll war natürlich besonders wichtig wegen seiner Nähe zur deutschen Sozialdemokratie und seiner allgemeinen Stellung als Verteidiger des Guten in einer bösen Welt.”

Wie Gustafsson erzählt, wie er von einem zum anderen pilgert, wie sie sich über sein Deutsch auslassen, wie er sie schildert („Hans Magnus las meinen Text mit kurzsichtigen Augen beim Morgenkaffee, las noch einmal von vorn, seufzte und sagte ...”) - das wäre nicht nur ein Kabinettstück für eine Anthologie zum Thema Literatur und Politik, das ist auch ganz einfach köstlich zu lesen.

In eine Anthologie „Autoren über ihre Väter” wiederum gehören unbedingt die wunderschönen Seiten über Gustafssons Vater Einar.

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