Höchst unterschiedlich

Werbung
Werbung
Werbung

Jürg Amanns Erzählungen: teils Meisterstücke, teils Fingerübungen.

Es berührt unangenehm, wenn man in einem Erzählband schon beim ersten Text vom Ich-Erzähler daran erinnert wird, dass der Autor einmal den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und welche Bücher er geschrieben hat.

Ob diese acht kurzen Prosastücke überhaupt Erzählungen zu nennen sind? Es ließe sich dagegen einiges einwenden, aber erzählt wird allemal: in der ersten Geschichte von einem anonymen Briefeschreiber (es könnte auch eine Frau sein), der den Erzähler so sehr beunruhigt, dass er ein grafologisches Gutachten erstellen lässt. Ein paar Briefe heißt der Text und mehr ist es dann auch nicht. Irgendwann hören die anonymen Briefe einfach auf und 2001, dreizehn Jahre später, erreicht den Ich-Erzähler ein Brief mit der Bitte um Nachreichung der Quittungen für eine psychotherapeutische Behandlung im Jahr 1993. Diesmal ist der Brief "mit vollem Namen und Anschrift" versehen und der Leser darf vermuten, dass es sich um den anonymen Briefeschreiber handelt. Oder um eine Verwechslung.

Unglaubwürdig und vorhersehbar ist die Geschichte Reisender nach Norden, in welcher der Erzähler sich tagelang mit einem Toten im selben Raum befindet, der - naturgemäß - keine Miene verzieht, bewegungslos in seinem Sessel sitzt und schon zu riechen beginnt, ohne dass der Erzähler sein Totsein bemerkt.

In Die Traumfrau wirft eine Frau, der er in seinen Träumen begegnet ist, den Protagonisten aus der Bahn. Hier blitzt zum ersten Mal Jürgen Amanns große Begabung auf, Leben in wenigen und kurzen Absätzen glaubhaft zu schreiben. Zimmer zum Hof, die Titelgeschichte, erweist sich als Schilderung eines onanistischen Hotelerlebnisses. Im Rollstuhlstück begegnen wir einem räsonierenden Alten, der uns sein ganzes Leben erzählt: eine literarische Fingerübung.

Man hat schon einiges in Kauf nehmen müssen, bis man zu den besten zwei Texten kommt, die merkwürdigerweise an den Schluss des Bandes gestellt sind. Die Sortiererin verbindet auf das Kunstvollste das Grauen mit dem Alltäglich-Banalen und Im Turm, ein literarisches Meisterstück, finden wir uns plötzlich im WTC zum Zeitpunkt der Anschläge am 11. September.

Man fragt sich, warum Jürg Amann, als arrivierter Autor, Talentproben von so unterschiedlicher Qualität abgibt.

Zimmer zum Hof

Erzählungen Jürg Amann:

Haymon Verlag, Innsbruck, 2006

80 Seiten, geb., € 14,90

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung