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Über ein Europa, in dem Milch und Honig zu kaufen sind - wenn man hinkommt und bleiben darf.

Europa ist viel. Vor allem das Versprechen eines besseren Lebens. Europa ist - vielen schon zu voll. "Das Boot ist voll!" - ein Satz, der gerne auf den Wahlplakaten rechter Parteien steht, der die Ängste vor einer massenhaften Einwanderung schürt und vor dem Verlust des lieb gewonnen Lebensstandards.

"Das Boot ist voll", das Buch von Zeit-Redakteur Michael Schwelien, handelt von vollen Booten und Europa. Wenn auch in einem anderen Zusammenhang, das macht schon der erste Satz klar: "Der Tod im Wasser kommt nicht schnell, und er ist auch nicht gnädig." Schwelien schreibt über Asyl, Hoffnung und Angst. Über die Hoffnung von Menschen, die in Europa das gelobte Land sehen. Nicht weil hier Milch und Honig fließen, sondern weil hier Milch und Honig zu kaufen sind. Und über die Angst, die wir Europäer vor Flüchtlingen haben.

Eigentlich sind es zwei Bücher. Einerseits hat der Autor Reportagen über jene "Boatpeople" gesammelt, die täglich an den Küsten Europas stranden. Unbekannt sei ihre Zahl, so Schwelien. Unbekannt auch die Zahl derer, die es nicht schaffen, die kentern, jämmerlich ersaufen. Oder die auf überfüllten Schiffen sterben: "An Bord sterben Menschen noch langsamer, noch qualvoller. Sie verdursten, sie werden zerquetscht, Frauen verbluten, während sie ein Kind zur Welt bringen. Tausende kommen auf diese Weise um auf dem Weg nach Europa."

Andererseits hat der Autor eine Genealogie des Verfalls des Asylrechts verfasst. Ausgangspunkt ist Artikel 16 gg: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Und bis in die siebziger Jahre stand dieses Grundrecht außer Frage, erinnert Schwelien. Allerdings suchten bis 1975 jährlich nicht mehr als 10.000 Menschen in Deutschland um Asyl an. Im Mai 1993 beschloss der Deutsche Bundestag mit 521 gegen 132 Stimmen, Artikel 16 gg einzuschränken: Flüchtlinge, die über einen "sicheren Drittstaat" (etwa Österreich) nach Deutschland kommen, haben keinen Anspruch auf Asyl mehr. Was nicht ohne Folgen in den anderen europäischen Staaten bleiben konnte. So sei Europa für Flüchtlinge zur Festung geworden - mit immer weniger Möglichkeiten legal aufgenommen zu werden.

Die Folgen beschreibt Schwelien lapidar. Er reiht Erzählungen über das Sterben auf den Schiffen an Berichte von Frauen, die sich Europa mit ihrem Köper erkaufen müssen. Die eu schätzt, dass in Europa jedes Jahr 500.000 Frauen in die Prostitution gezwungen, geprügelt und vergewaltigt werden.

Schwelien fordert die geregelte Zuwanderung. Von einer "Überfremdung" könne in Europa keine Rede sein. So zählen die eu-Staaten 19 Millionen registrierte Ausländer (5,1 Prozent der eu-Bevölkerung), von denen aber ein Drittel (sechs Millionen) eu-Inländer sind. Die eu aber plant "Aufnahmezentren": in Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien. Darauf haben sich die eu-Justiz- und Innenminister im niederländischen Scheveningen verständigt.

Das Boot ist voll

Europa zwischen Nächstenliebe und Selbstschutz

Marebuch Verlag, Hamburg 2004

210 Seiten, kart., e 14,00

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