Irrlichternde Gestalten

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Patrick Devilles "Pura Vida" ist ein packend schönes Buch über die mittelamerikanische Revolutionsmythologie und deren Heldenfiguren.

Ein Satz Lord Byrons ist Patrick Devilles Roman "Pura Vida" vorangestellt: "Es ist diese, sehnsuchtsvolle Leere', die uns antreibt zum Spielen - zu Schlachten - zu Reisen - zu zügellosen, aber heftig empfundenen Unternehmungen jeder Art, deren hauptsächlicher Reiz in der Erregung liegt, die mit der Durchführung untrennbar verbunden ist." Es geht ums amoralische Substrat der menschlichen Existenz, ums "reine Leben", die "pura vida" - eine costaricanische Redewendung für das vielleicht "schönste Kompliment, das man dem Leben machen kann".

"Pura Vida" ist vieles in einem: Ein Roman, der sich als Reisebericht tarnt, ein Geschichtswerk, das sich als Räuberpistole ausgibt, und eine Menschenporträtsammlung, die so tut, als wäre sie ein Recherchetagebuch. Zwischen den Jahrhunderten hin und her springend breitet Patrick Deville eine "mittelamerikanische Revolutionsmythologie" aus - von den spanischen Konquistadoren bis zu den Diktatoren und politischen Führern des 20. Jahrhunderts, von Mexiko bis Panama, von Kuba bis Honduras, von Nicaragua bis Costa Rica.

Deville, Schriftsteller des Jahrgangs 1957, der mit "Pura Vida" in Frankreich einen wohlverdienten Coup gelandet hat, führt Männer vor, die wie Derwische durch die mittelamerikanische Geschichte irrlichterten: Abenteurer und Eroberer, Profiteure und Geschäftemacher, Utopisten und Visionäre, Verrückte und Idealisten, Mörder, ruchlose Söldner und gelehrte Statthalter. Allen voran erzählt Deville von William Walker, dem in der mesoamerikanischen Historie die Rolle des archetypischen Bösewichts zukommt - quasi als dunklem Widerpart der Lichtgestalt Che Guevara, die zeitlich erst ein Jahrhundert später kam und von der Deville ebenfalls berichtet.

Furchtbarer Glücksritter

Jener Walker - Jurist, Arzt, Journalist und romantisch beseelter Byron-Verehrer aus Nashville, Tennessee - schwingt sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Führer einer Truppe von Desperados auf und verschreibt sein Leben der Obsession, Präsident einer Republik zu werden. Aus dem "blassen und finsteren jungen Mann" wird "ein furchtbarer Glücksritter": "Nachdem er für kurze Zeit Präsident der Republik Sonora gewesen war, einem steinigen Gebiet, das er aus einer Landkarte von Mexiko für sich ausgeschnitten und im Laufe einer katastrophalen Expedition tatsächlich für einige Monate an sich gerissen hatte, gelang es ihm weiter im Süden, sich zum Präsidenten der Republik Nicaragua wählen zu lassen mit dem Zweipunkteplan, dort die Sklaverei wieder einzuführen und einen Kanal zwischen den beiden Ozeanen auszuheben", schreibt Deville über Walkers leichengesäumte Blitzkarriere im Kreise einer "Galerie vollkommen ausgeflippter und abgehalfterter Typen", die 1860 an einem Flussufer im honduranischen Dschungel ihr frühes Ende findet.

Fieberhaft sucht Deville nach roten Geschichtsfäden, nach Parallelen und Anknüpfungspunkten, nach Figuren, die hier unter- und dort wieder auftauchen, die für Revolutionen stehen, die dem Geist der französischen entsprungen sein mögen und diesen bisweilen bis zur Unkenntlichkeit pervertieren. Mäandernd wie ein tropischer Strom in seinem Delta lässt er seinen Ich-Erzähler (der er selbst ist?) Gespräche mit führenden Sandinisten wie dem Priester-Kämpfer Ernesto Cardenal führen, lässt ihn dem zweiten "Che" - einem argentinischen Fremdenlegionär, CIA-Agenten auf Kuba und Söldner vieler mittelamerikanischer Kampfschauplätze - nachforschen oder Castros Kampfgefährten und Mann fürs Grobe, Tony de la Guardia. Das glänzende Vorbild Simón Bolívar taucht auf und das Mittelamerika der Gegenwart, wie es sich in Cafés und Zeitungsberichten, in Taxifahrer-Geschichten, in Reichtum und Armut präsentiert.

Das alles ist betörend gut, voller Witz und Anteilnahme geschrieben, packend erzählt, souverän recherchiert und außergewöhnlich erhellend. Patrick Devilles "Pura Vida" ist ein Buch von rarer Fülle.

Pura Vida

Leben und Sterben des William Walker

Von Patrick Deville Aus d. Franz. v. Holger Fock

Haymon Verlag, Innsbruck 2007

304 Seiten, geb., € 19,90

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