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Der Horlemann-Verlag ermöglicht die Wiederentdeckung des Schriftstellers Wolfgang Bittner.

Wolfgang Bittner ist einer der bedeutendsten Autoren Deutschlands“, heißt es auf einem Werbeblatt für seinen Roman „Der Aufsteiger“. Das mag etwas vollmundig klingen, aber die Absicht ist ehrenwert; einer der bekanntesten ist Bittner jedenfalls leider nicht. Dass der Horlemann Verlag in Bad Honeff drei Jahrzehnte nach seiner Erstpublikation nun Bittners Roman neu präsentiert, ist eine lobenswerte Initiative und hoffentlich eine Chance, den 1941 in Gleiwitz geborenen Autor wieder in die Debatten und in die Buchregale zu bringen.

Erschienen ist „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ 1978, also im selben Jahr wie Gernot Wolfgrubers „Niemandsland“, und ein Jahr nach Franz Innerhofers „Die großen Wörter“, in dem der einstige Bauernknecht Holl an der Universität ankommt, ohne sich hier beheimaten zu können.

Kritischer Blick

Ein Jahr später erschien Pierre Bourdieus Theorie der „feinen Unterschiede“, die damals noch als Gesellschaftsanalyse gelesen wurde, nicht als Benimm-Dich-Leitfaden für ehrgeizige Quereinsteiger im Management. Es sind die Jahre, in denen sich als Spätfolge von 1968 ein kurzes Zeitfenster geöffnet hat für den kritischen Blick auf die psychischen, sozialen und politischen Folgekosten der selbstzufriedenen Wirtschaftswunderjahre. Literatur wollte damals nicht schick und zeitgeistig sein, sondern engagiert, und daraus entstanden oft beachtlich gute Romane, zu denen auch Wolfgang Bittners „Der Aufsteiger“ gehört.

Erich Wegner ist ein junger Bauarbeiter, als solchen lernt man ihn im ersten Kapitel kennen, das ein bemerkenswertes Stück Literatur der Arbeitswelt ist. Er wohnt mit seinen Geschwistern noch zu Hause, in einem der idealtypischen neuen Eigenheime am Rand einer deutschen Kleinstadt. Der Vater hat als Chauffeur den Aufstieg von den Flüchtlingsbaracken ins White Collar-Segment geschafft, um dann rasch den Folgen des anstrengenden individuellen Wiederaufbaus zu erliegen.

Erich Wegner ist unzufrieden, er ist klug, und er hat einen Freund, der viel liest und offenbar in der Arbeiterbewegung aktiv ist, weshalb er der Zeitstimmung entsprechend als Kommunist gilt. Dieser Freund verschafft ihm einen Bürojob bei der Kreisverwaltung; von der körperlichen Anstrengung her kein Vergleich, was die Arbeitszufriedenheit betrifft, allerdings kaum ein Unterschied.

Also beginnt Erich Wegner den mühsamen sogenannten zweiten Bildungsweg mit all den bekannten Konsequenzen: Entfremdung von den alten Freunden, eine Position des sozialen Inbetween, an der auch seine Beziehungen letztlich immer scheitern werden, aber auch ein tief sitzendes und berechtigtes Misstrauen gegenüber den vermittelten Inhalten und Werten.

Er liest mit Leidenschaft, aber sein Blick von unten lässt ihn nicht selten zu anderen, jedenfalls prüfungsuntauglichen Fragestellungen und Schlüssen kommen.

Trotzdem landet er eines Tages als Jus-Student an der Universität Göttingen, und seine Enttäuschung über die Welt der Wörter ist nicht anders als jene von Innerhofers Holl. Wegner ist ein politischer Mensch, aber als später Werkstudent sozial auch isoliert. So gerät er eher zufällig in eine politische Kundgebung, denn in die Diskussionen der 68er ist er kaum eingebunden, da führen andere das Wort. Die fehlende Selbstsicherheit in Wort und Selbstpräsentation, das wird ihn wie viele Sozialaufsteiger begleiten, zumal späterhin als „Vertreter der Staatsgewalt“, auch weil er seinen sozialen Grundsätzen treu bleibt, die im Justizmilieu der Zeit nicht unbedingt gefragt sind.

Treffende Analyse

Für einen denkenden jungen Mann, der die Welt ganz unten kennt und sich das bürgerliche Bildungsgut erfolgreich angeeignet hat, so macht der Romanschluss deutlich, hatte die Bundesrepublik der 1970er Jahre, mit Radikalenerlass, Terroristen-Hatz und damit einhergehender Verfestigung von Konservativismus und Biedermeierlichkeit, jedenfalls keine Perspektiven zu bieten.

„Der Aufstieg“ mag in einigen Aspekten autobiografisch sein, in jedem Fall ist er eine treffende und gut lesbare Analyse einer politisch prekären Epoche der Nachkriegsgeschichte, zu deren Folgen auch das praktische Aus für jene sozial engagierte Literatur gehört, deren Selbstverständnis Wolfgang Bittner – bis heute – verpflichtet ist. Nachlesen kann man das im Erzählband „Das andere Leben“ oder in der Sammlung „Ich mische mich ein“, beide erschienen bei Horlemann.

DER AUFSTEIGER ODER EIN VERSUCH ZU LEBEN

Von Wolfgang Bittner

Horlemann Verlag, Unkel 2008

200 Seiten, geb., € 17,40

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