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LEGENDE VON ALEXIUS

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Die Geschichte des heiligen Alexius hat Goethe in der „Schweizer Reise“ erzählt. Der Jüngling, den seine Eltern, nach altrömischem Brauch, mit einem ihm seit der Kindheit bekannten Mädchen verheiratet haben, flieht, um ein frühes Gelübde der Keuschheit zu erfüllen, noch vor dem Hochzeitsmahl in das Heilige Land, darin er viele Jahre einsam lebt. Aber die Sehnsucht nach der Heimkehr, nach den Eltern, nach der Braut, verläßt ihn nicht und wird zur Reue. Wir bringen die zweite Szene in der sein weltlicher Wunsch überwiegt.

(Am See Oenezareth. Links Im Hintergrund zwei alte verfallene Fischerhutten, einst die des Petrus und die der Söhne des Zebe-daeus. Weiter zurück der Ort Kapernaum. Auf dem See zwei Fischerboote. Es kommen Alexius, gealtert, bartig, unkenntlich. In sohlechter Gewandung, und sein Gefährte, ein junger Pilger.)

PILGER: Du bist an deinem Ziel.

ALEXIUS: Nach langen Jahren

Der Einsamkeit in unheiligen Ländern, Und sieben Jahren in dem Heiligen Land, Hast du mich zu dem See geführt, auf dem

<m Als Mensch der Heiland

Wie wir gehn über Wiesen. Ich bin müde. PILGER: Setz dich auf diesen niedren Fels. Vielleicht

Hat auch der Herr auf ihm geruht und Simon

Nach diesem Fels Petrus genannt ALEXIUS: Wer wohnt

Dort in diesen Hütten? PILGER: Diese Hütten sind

Noch die, darin Petrus mit Weib und Kindern

Gewohnt hat. Und die andre ist die selbe,

In der Johannes und Jacobus als

Fischer gelebt haben mit ihren Eltern. ALEXIUS: Ist das verbürgt? PILGER: Du magst die Einsiedler,

Die jetzt in diesen Hütten hausen, fragen. ALEXIUS: Einsiedler wohnen in den ehrwürdigen

Stuben der heiligen Apostel? PILGER: Glaub es!

Du wirst mit ihnen reden wie mit mir.

Ich rufe sie.

ALEXIUS: Noch nicht. Sag erst: Lebt niemand

Aus den Geschlechtern der Apostel mehr? PILGER: O ja! Die beiden Boote auf dem See

Gehören Nachkommen des Petrus und

Der andern Söhne, auch des Zebedaeus. ALEXIUS: Wär's möglich? Warum wohnen sie nicht auch

In den geheiligten Hütten? PILGER: Sie sind ihren

Vorvätern gram, weil die das Haus verließen,

Um Jesus nachzufolgen. ALEXIUS: Wie? Sie sind nicht

Stolz auf so gnadenvollen Ursprung? PILGER: Nein.

Sie finden, daß ein Mann, der ein Haus gründet,

Dem Haus zunächst gehört und dann erst Gott. ALEXIUS: So denken sie? PILGER: Sie wissen nicht, daß Gott

Sich Seine Heiligen auswählt. ALEXIUS: Aber doch

Scheint mir ihr Vorwurf nicht ganz unbegründet.

Er trifft mich mit. PILGER: Du hast dich selbst geopfert

ALEXIUS: Wohl. Aber andre auch. PILGER: Auf einmal prüft

Dich solch ein Zweifel? ALEXIUS: Nein. Kein Zweifel. Aber —

PILGER: Was?

ALEXIUS: Lang schon peinigt's mich. PILGER: Was sollte dich,

Den Frommen, Heiligmäßigen, beirren? ALEXIUS: Zwar hab' ich's nicht gebeichtet, denn es ist

Ja keine Sünde. Dennoch war es Sünde.

Sonst fühlt ich sie nicht täglich drängender. PILGER: Was war' es, das dich so verstört? ALEXIUS: Darf ich's

Vor diesem See, vor diesen Hütten sagen?

Es ist — PILGER: Sprich ungescheut. ALEXIUS: Unsicher bin ich.

Ich weiß nicht, ob ich recht gehandelt habe.

Vielmehr — ich ahne, daß ich's nicht getan.

Du widerrufst dein ganzes heiliges Leben? ALEXIUS: Nein, nein. Ich widerruf es nicht. Und doch — PILGER: Und doch?

ALEXIUS: Wie um den Baum des Paradieses

Heimlich die Schlange sich ringelt — oder nein — Damit vergleich' ich's nicht.

PILGER: Wer die Dämonen

Nennt, bannt sie durch sein Wort.

ALEXIUS: Das Wort heißt Reue.

PILGER: Das sage dem Einsiedler, der jetzt eben Heraustritt aus dem Hüttentor des Petrus. (Der erste EINSIEDLER aus der Hütte des Petrus tretend.)

ALEXIUS: Wo seh' ich ihn? — Oh, würdiges Angesicht!

Hier knie ich vor dem Schein an deiner Stirne.

PILGER: Mein Vater, hör den Mann, der Trost verlangt.

ALEXIUS: Nicht Trost. Um einen Rat will ich dich bitten.

1. EINSIEDLER: Wer seid ihr, Fremde? Was führt euch zu mir?

(Er nähert sich liebevoll dem knienden ALEXIUS.)

ALEXIUS: Mein heiliger Vater —

1. EINSIEDLER: Du bist ja ALEXIUS.

Ich kenne dich. Viel eher kam' es mir zu,

Zu knien vor dir. Steh auf. Ich bin nicht würdig.

ALEXIUS: (sich erhebend)

Wir knien, wenn wir beichten.

1. EINSIEDLER: Aber ich

Weiß längst um dich. Dein irdischer Verzicht Ist mir bekannt, vielleicht durch Ahnung bloß. Wie du gedarbt hast in der Wüste Saren, Und dann, wo immer die geweihte Fußspur Noch sichtbar ist, nicht unsern Augen freilich, Das hat dir großen Ruf gewonnen.

PILGER: Nicht wahr?

ALEXIUS: Oh, nein — so hab' ich's nicht gewollt.

1. EINSIEDLER: Das weiß ich

Und weiß noch mehr. In deinem Angesicht

Les' ich, was du verheimlichst vor dir selber.

Drum sag' ich dir —

ALEXIUS: Ach, alles sag mir, Vater.

Und ich will dir gehorchen auf das Wort.

1. EINSIEDLER: Dich plagt Gewissensnot.

ALEXIUS: Mehr als nur sie.

1. EINSIEDLER: Die Reue — heimgekehrt ist sie in dich.

ALEXIUS: Heimgekehrt? Eingebrochen ist sie, wie Ein Dieb in meine Seele.

1. EINSIEDLER: Welcher Mensch

Verstünde sie nicht? Aber ihre Stimme Ist der Versuchung Stimme.

ALEXIUS: Nicht so, Vater.

PILGER: Welcher Versuchung?

1. EINSIEDLER: Abwendig macht sie

Dich von dem heiligen Vorsatz. Dem Gelübde, Das wir dem Herrn als Opfer dargebracht, Haben wir treu zu bleiben. Vor dem Hause Des ersten Jüngers unseres Herrn und Heilands AftwjErmahn'.ich dich^Veuleugn nichfcsouch du, jja Wozu der Geist.dich aufgerufen.hat

ALEXIUS: Mich drängt es in mein Vaterhaus zurück. Ist das eine Todsünde?

1. EINSIEDLER: Nein. Doch hätte

Gott wenig Wohlgefallen an dem Heiligen, Der sich zurückbringt in versagtes Leben.

ALEXIUS: Ich würde mich nicht zu erkennen geben,

Den Eltern nicht, dem Bruder nicht, der Frau nicht,

Nur als ein Bettler liegen unter der

Stiege des Dienerhauses. 1. EINSIEDLER: Lüge wäre das!

Nicht Eidbruch bloß, auch Lüge! ALEXIUS: Das sei ferne.

PILGER: Streng bist du, heiliger Vater.

1. EINSIEDLER: Gott ist streng

Zu denen, die sich Ihm gelobt auf immer.

(Der 2. EINSIEDLER ist aus der anderen Hütte

getreten.)

2. EINSIEDLER: Nein, so sehr strenge ist Gott kaum, mein

Bruder.

1. EINSIEDLER: Wie meinst du das, mein Bruder?

2. EINSIEDLER: Wie der Jünger,

Der an der Brust des Heilands lag, so mein ich's. 1. EINSIEDLER: Wie willst du's deuten?

2. EINSIEDLER: Stärker als ein Eidschwur,

Fester als das Gesetz, bindet die Liebe.

1. EINSIEDLER: Die Liebe: Die zu Gott oder die zu

Den Menschen?

2. EINSIEDLER: Ist es schwer nicht, Gott zu lieben?

1. EINSIEDLER: Spricht so ein Diener Gottes?

2. EINSIEDLER: Das erfuhr ich:

Leicht lieben wir Geschöpfe; doch den Schöpfer, Den unsichtbaren, wie erreichst du Ihn?

1. EINSIEDLER: Durch das Gebet, den Glauben, durch die

Hoffnung.

2. EINSIEDLER: Beschäme mich nicht, Bruder. Ich sprach

menschlich. Auch durch die Liebe. Aber sie fällt schwer.

1. EINSIEDLER: Was schwerfällt, einzig das ist aufgegeben.

2. EINSIEDLER: Doch nicht, was zu schwer fällt.

1. EINSIEDLER: ALEXIUS!

Bleibe dir treu!

2. EINSIEDLER: Wohl. Doch nicht dir allein,

Die erste Treue fordert auch ihr Recht Die zweite sieht's ihr nach. Kehr heim!

1. EINSIEDLER: Das wagst du

Ihm anzuraten?

2. EINSIEDLER: Das nehm' ich auf mich.

Gott will nicht, daß um Seinetwillen auch Das kleinste Kind weint. Solche Trankopfer Verschmäht die ewige Liebe. In dem Namen Des heiligen Evangelisten Johannes Befrei' ich dich von deinem Eid und sende Dich in dein Vaterhaus im Willen dessen, Der unser aller Vater ist.

1. EINSIEDLER: Im Namen

Der heiligen Dreifaltigkeit, die dieser Verarmten Seele Urquell ist und Urziel, Beschwör“ ich dich, ALEXIUS, zu bleiben Im heiligen Wandel hier im Heiligen Land.

2. EINSIEDLER: Wem von uns beiden neigst du zu,

ALEXIUS? PILGER: Ach, folge dem Johanneswort! ALEXIUS: Ehrwürdige

Väter, wie könnt' ich einem von euch je

Verweigern, zu gehorchen? 2. EINSIEDLER: In dir selbst

Weiß eine Stimme Rat, die nicht mehr zweifelt. ALEXIUS: Ja, ich gesteh's: Die Stimme, die mich ruft,

Es ist die deine, hochwürdiger Vater.

1. EINSIEDLER: Dann zieh mit Gott, wofern er noch bei dir

Verweilen mag. Fahr wohl!

2. EINSIEDLER: Nicht so entlaß ihn. —

Die Buße, die er selbst sich auferlegt, Wird er einhalten auch im Haus des Vaters. ALEXIUS: Hart wird sie sein.

2. EINSIEDLER: Erkenn in ihm, mein Bruder,

Das neue Gleichnis des verlornen Sohns, Der nicht Vergebung sucht; der unerkannt Im Vaterhaus verbleiben muß. (Zu ALEXIUS):

Ja, schwer ist's. Doch — wenn es zu schwer wird — 1. EINSIEDLER: Willst du auch diesen

Selber von ihm gefällten Urteilsspruch .. Mildern, mein Bruder?,,s, „, „„, . .

.2. EINSIEDLER, (zu ALEXRJSMsjiiis bms )**..*> OBimfläg Ja. Wenn dir“s die Liebe Abfordert, bindet“ dich die Buße nicht.

1. EINSIEDLER: Dann hab' ich nichts zu sagen mehr.

(Ab in die Hütte.) ' ,

ALEXIUS: Mein Vater!

Bleib doch! Denn dir versprech' ich, daß die Buße Mich binden wird.

2. EINSIEDLER: Nun hab' auch ich zu schweigen.

Nimm meinen Reisesegen. Lebe wohl! (Ab in seine Hütte.)

(Stille)

ALEXIUS: Jetzt möcht' ich schlafen. Im Traum soll mich ein Engel nach Hause tragen. Laß mich hier Auf diesen Steinen liegen. Vielleicht kommt Der Engel und erfüllt mir meine Bitte. (Er läßt sich an dem Strand des Sees nieder.)

PILGER: Zu lang' sollst du nicht ruhn. Die Boote steuern, Weil Abend ist, bereits dem Ufer zu. Nein — eins nur segelt her zu uns.

ALEXIUS: Es ist

Vielleicht des heiligen Johannes' Boot, Das Weisung hat, mich an das andre Ufer Uberzusetzen. Denn von drüben scheint Es näher nach Jerusalem — nach Hause. (VORHANG)

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