Dialog in die Nacht: "Schlaf jetzt, kleines Kamel" von Hubert Gaisbauer und Renate Habinger

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Unser Lektorix des Monats.

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Der Dokumentarfilm "Die Geschichte vom weinenden Kamel" erzählte in schlichten Bildern die ergreifende Geschichte eines Kamelbabys, das von seiner Mutter verstoßen wird -bis schließlich ein spezielles Ritual das Herz der Kamelmutter erweicht und sie ihr Kind annimmt. Dem märchenhaften Ton dieses eine wahre Begebenheit inszenierenden Films entspricht auch die Stimmung in Hubert Gaisbauers erstem Bilderbuchtext - doch hier wird niemand verstoßen, ganz im Gegenteil, das titelgebende kleine Kamel hat im großen Kamel eine überaus geduldige Ansprechperson. Und Geduld ist hier wirklich gefragt: Denn, ein üblicher Topos im Bilderbuch, das kleine Kamel kann und will einfach nicht schlafen.

Philosophischer Dialog

Aus diesem Grundkonflikt entspinnt sich ein facettenreicher Dialog zwischen den beiden, in dem die Welt philosophisch in ihrer ganzen Vielfalt ausgelotet wird. Was ist die Welt? Was ist eine Stadt? Warum gehen wir zur Stadt? Wo ist es am schönsten auf der Welt? Die unaufhörlichen Fragen des kleinen Kamels werden auch in der Typographie fast aufdringlich groß gesetzt. Die beiden Ebenen des Erzähltextes, die Wirklichkeitsebene der beiden Kamele und die Vorstellungswelt, die aus dem Gespräch und der überbordenden Phantasie des kleinen Kamels entsteht, werden auch in der Farbgestaltung durch den Kontrast zwischen Blau und Schwarz klug voneinander abgehoben. Renate Habinger taucht die Doppelseiten in ein tiefes, unregelmäßig getöntes Dunkelblau, das sie mit überarbeiteten Monotypien bespielt: Auf gedrucktem Untergrund werden einzelne Elemente collagiert und mit Buntstift wird eine Welt gezeichnet, die sich bewusst einem vordergründig-orientalischen Setting entzieht. Zu entdecken gibt es vielmehr ein In- und Miteinander verschiedener Zivilisationen: Da finden sich Eselskarren neben Handy und Moschee neben christlicher Kirche. Der genau durchkomponierte Rhythmus der Bilder setzt auf surreale, immer wieder an Chagall erinnernde Vielfalt ebenso wie auf wiederkehrende Elemente: Denn so dunkel die Bilder auch sind, stets wird durch das Funkeln winzigen hellen Akzenten das Blau erleuchtet. Das Ende der Nacht allerdings wird in dieser erfrischend anderen Variante der Gattung Einschlafgeschichte nicht erreicht: Auch die Geduld des großen Kamels hat irgendwann ein Ende und schließlich schlafen beide. Die letzte Buchseite verführt mit ihren über den Nachthimmel fliegenden Tieren zum weiter in hinreißend schöne Bildwelten Versinken - und/oder das Buch noch einmal von Vorne zu beginnen. der Sterne in

Schlaf jetzt, kleines Kamel
Von Hubert Gaisbauer
Illustr. von Renate Habinger
Wiener Dom-Verlag
48 S., geb.,€ 14,90

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